Rheinische Post, 9.3.2016 Weil die Balkanroute dicht ist, bereitet sich Italien auf einen neue Flüchtlingswelle vor.

Vielleicht sollte man sich die Worte des ukrainischen Schleusers noch einmal vergegenwärtigen, den der Kriminologe Andrea Di Nicola aus Trient vor einiger Zeit in einem italienischen Gefängnis befragte. Laut Di Nicola sagte der Schleuser: „Wenn ihr Fluchtwege abschneidet, werden wir neue finden. Ihr zieht die Mauern um die Festung Europa höher? Wir erhöhen die Preise.“ Jetzt wirkt es so, als habe auch die italienische Regierung die zynischen Worte des Schleusers mit etwas Verspätung vernommen. Nach den aktuellen Entwicklungen auf dem Balkan fürchtet Italien eine neue Flüchtlingswelle. Auslöser sind die Grenzschließungen von Österreich bis Mazedonien und die sich in Nord-Griechenland stauenden Flüchtlingstrecks. Ein Blick auf die Landkarte genügt, um das drohende Szenario zu verstehen: Weil sie auf dem Weg von Griechenland nach Norden blockiert werden, suchen die Flüchtlinge neue Routen in die EU, von denen die meisten über Italien führen. Auch Italien, das im vergangenen Jahr etwa 100 000 Flüchtlinge in Hilfseinrichtungen aufnahm, ist vom Meer umgeben und kann keine Zäune an den Küsten errichten. „Wir bereiten einen vorläufigen Plan vor und hoffen,

dass er vorläufig bleibt“, sagte der italienische Innenminister Angelino Alfano vor Tagen bei einem Besuch in der süditalienischen Region Apulien. Wie es heißt, gibt es rege informelle Kontakte zwischen Italien, Albanien und Montenegro. Dutzende Soldaten sollen nach Apulien verlegt werden, der fünfte italienische Hotspot im apulischen Taranto steht angeblich kurz vor der Öffnung. Alfano wies schon vor Wochen die Sicherheitschefs in den italienischen Städten an, 50 000 zusätzliche Aufnahmeplätze einzurichten. Ein Grund für den Alarm: Gerade einmal 45 Seemeilen trennen den Absatz des italienischen Stiefels vom albanischen Festland, die Überfahrt ist in einer Nacht zu schaffen. Laut italienischen Zeitungsberichten haben italienische Geheimdienste Erkenntnisse, dass Schlepper die in Griechenland festsitzenden Flüchtlinge über Albanien und dann mit Booten über den Kanal von Otranto nach Italien befördern könnten. „Wir haben noch keine konkreten Hinweise darauf, dass diese Reisen wieder aufgenommen wurden, aber einigen Verdacht, dass sie in diesen Tagen organisiert werden“,…

Augsburger Allgemeine, 28.1.2016

Nach der Verhüllungs-Affäre um nackte Statuen hat Italien die Schuldige in der Protokollchefin von Premier Renzi ausgemacht Fast wäre die Karriere von Ilva Sapora im Schatten der internationalen Politik ohne großes Aufsehen zu Ende gegangen. Die Protokollchefin von Ministerpräsident Matteo Renzi geht im kommenden Jahr in Pension. Dann kam zu Beginn der Woche der iranische Präsident Hassan Rouhani nach Rom. Anlässlich seines Treffens mit Renzi im römischen Kapitol und der Unterzeichnung milliardenschwerer Wirtschaftsverträge hatten eifrige Funktionäre die nackten Marmorstatuen in den kapitolinischen Museen hinter Sperrholzplatten verstecken lassen, angeblich um die religiösen Gefühle des Schiiten nicht zu verletzen. Und seither hat die 64 Jahre alte Signora Sapora keine Ruhe mehr. Die Protokollchefin ist nun Sündenbock Nummer eins in Italien. Zu verdanken hat sie das nicht nur einem „Übereifer“, den Premier Renzi bei den Verantwortlichen der Maßnahme feststellte. Sapora ist auch Opfer einer Reihe von beinahe als todesmutig zu bezeichnenden Politikern, die sich nun einer nach dem andern von der Prüderie distanzieren. Angesichts des Shitstorms internationaler Medien, die die Verleugnung der klassischen Kultur beklagen, brachte sich als erster Kulturminister Dario Franceschini in Sicherheit indem

er sagte, er habe nichts mit der Sache zu tun. Nicht nur Renzi und Außenminister Paolo Gentiloni distanzierten sich ebenfalls, sondern auch die für die Museen zuständige Kulturbehörde sowie die Stadtverwaltung. Der italienische Verbraucherverband erstattete sogar eine Anzeige wegen „schwerer Schäden an Ehre und Image der Stadt Rom und ganz Italiens“. Auch das kann man durchaus als Übereifer bezeichnen. Arme Signora Sapora. Denn nach einhelliger Meinung der Beschützer der klassisch-okzidentalen Kultur war der Fauxpas und die liederliche Verhüllung der halbnackten kapitolinischen Venus allein ihre Schuld. Die Protokollchefin versteckt sich seither hinter überdimensionalen Sonnenbrillengläsern und geht nicht ans Telefon. Jetzt wird in ihrer Vergangenheit gewühlt. Ihre Neider im Palazzo Chigi, dem Sitz des Ministerpräsidenten in Rom, behaupten, die Dame, die seit 2001 im Dienste der Republik ist, habe nie die notwendigen Qualifikationen für den Job gehabt. Sie sei eine „raccomandata“, eine von einflussreichen Männern Empfohlene. In…

Bonner Generalanzeiger, 21.1.2016

Mit martialischen Maßnahmen will sich die Toskana gegen die dramatische Ausbreitung der Wildschweine wehren Eigentlich ist das Wildschwein schon lange nicht mehr richtig wild. Aus der Jungsteinzeit gibt es Hinweise auf seine Domestizierung, in China und der Türkei etwa. Auch im beliebten Asterix-Comic gehört das Wildschwein mehr oder weniger zum Inventar. Jedes überstandene Abenteuer feiern die beiden gallischen Widerständler Asterix und Obelix mit einem ausgelassenen Wildschweingelage für das ganze Dorf. Gut möglich, dass diese Tradition bald auch in Italien Wirklichkeit wird. Das Wildschwein ist auf dem Vormarsch, und deshalb in höchster Gefahr. Auf dem italienischen Stiefel, aber vor allem in der Toskana können sie ein davon Lied singen. Noch in den 90er Jahren lagen die toskanischen Laubwälder wie verwaist da. Heute tummeln sich in der bei Touristen so beliebten Region hunderttausende Bachen, Keiler und Frischlinge. Von einer halben Million toskanischer Wildschweine ist die Rede. Im ganzen Land sollen es inzwischen über eine Million sein. Ihre Zahl hat sich seit der Jahrtausendwende fast verdreifacht. Gute Aussichten für einen baldigen Wildschweinschmaus, etwa schon in

den Osterferien? Der richtige Umgang mit dem Wildschwein, lateinisch sus scrofa, hat sich über die Toskana hinaus zu einem umstrittenen Debattenthema entwickelt. Unversöhnlich stehen sich gegenüber: Landwirte und Jäger auf der einen Seite, Tier- und Umweltschützer auf der anderen. Die einen beklagen die Zerstörung ihrer Anbauflächen, Wiesen und Felder. Nicht nur sei etwa das Weinanbaugebiet des Chianti classico in Gefahr, gab jüngst der Direktor des Konsortiums zu Bedenken, die gesamte toskanische Kulturlandschaft drohe durch unaufhaltsam den Boden umpflügende Schweineschnauzen zu verkommen. Mit unvorhersehbaren Folgen, auch für den Tourismus. Die Toskana, eine Kraterlandschaft. Dass es sich um ein ernstes Problem handelt, dafür sprechen etwa die 2,5 Millionen Euro Ausgleichszahlungen, die die Region im vergangenen Jahr für durch Wildschweine verursachte Agrarschäden leistete. Italienweit dürfte die Summe im zweistelligen Millionen-Bereich liegen. Die Säue sind teilweise sogar lebensgefährlich. Im vergangenen Jahr wurden bis zu 1000 von verirrten Wildschweinen verursachte Verkehrsunfälle auf toskanischen…

Badische Zeitung, 16.12.2015

Dem Parlamentsfriseur in Rom droht die Schließung. Das Ende ist noch nicht endgültig besiegelt, aber es naht. Unerbittlich. Die Rede ist von einer italienischen Institution, beinahe einem Heiligtum des parlamentarischen Betriebs in Rom. Ein lichtdurchfluteter Tempel. An den Wänden prangen Jugendstil-Spiegel. Drei Sessel, die Raumschiffen aus den 60er Jahren gleichen, können per Pedal nach oben gefahren werden. Herren, die samt Krawatte im hellblauen Arbeitskittel stecken. Parfümfläschchen, blitzende Scheren und Klingen. Der süße Duft von Rasierwasser. Ein Raum der kurzen Erholung im gnadenlosen Politikbetrieb. Willkommen in der Barberia di Montecitorio, dem Friseursalon im italienischen Abgeordnetenhaus. Auch der Senat, die zweite Parlamentskammer, verfügte bis vor einiger Zeit über einen eigenen Friseursalon. Weibliche Abgeordnete hatten dort sogar einen Dauerwellen-Bonus. Der Besuch beim Figaro in Montecitorio war lange für die Abgeordneten gratis, bis 1990. Man ahnt, auf welche Weise die heute weit über zweitausend Milliarden Euro Schulden des italienischen Staatshaushalts zustande gekommen sind. Die miserable Finanzsituation Italiens macht Sparmaßnahmen nötig. Die parlamentarischen Finanzprüfer haben es auf die Barbiere der Onorevoli abgesehen,

der „Ehrenwerten“, wie Abgeordnete in Italien genannt werden. Auf 630 Abgeordnete kommen sieben Friseure, die ein jährliches Minus von über 400 000 Euro erwirtschaften, das bisher die Staatskasse ausglich. Skandal? Nun ja, Ministerpräsident Matteo Renzi ließ medienwirksam teure Staatskarossen verhökern, aber den Friseuren seiner Abgeordneten will er nicht an den Kragen. Schließlich betreuen die das Wichtigste, über das ein Regierungschef verfügen will, nämlich das Stimmvieh. Dass ein Berufseinsteiger in der Barberia mit 30 000 Euro Jahresgehalt startet und am Ende seiner Karriere 136 000 Euro im Jahr verdient, geschenkt! Problematisch wird so etwas erst, wenn die italienischen Jugendarbeitslosen (Quote: 40 Prozent) davon Wind bekommen. Im Friseursalon bleiben nun immer häufiger mehrere Sessel frei. Das mag mit der gegenwärtigen Vollbartmode oder grassierendem Haarausfall unter den Abgeordneten zusammen hängen. Experten haben festgestellt, dass die Parlamentsfriseure eher auf hausbackene Art die Haare schneiden. Junge Abgeordnete ziehen deshalb schon länger ihre eigenen Etablissements außerhalb des Parlaments vor.…