Augsburger Allgemeine, 27. Juni 2016 Die Floating Piers des bulgarischen Künstlers Christo versetzen eine sonst eher abgeschiedene Gegend in den Ausnahmezustand.

Floating Piers. Das begehbare Kunstwerk des Künstlers Cristo am Lago d'Iseo.

Floating Piers. Das begehbare Kunstwerk des Künstlers Cristo am Lago d'Iseo.

Man kann nicht behaupten, dass der Lago d'Iseo in diesen Tagen seine übliche, familiäre Besinnlichkeit verströmt. Der See liegt ja eigentlich im gemütlichen Schatten zwischen Gardasee und Comer See in Norditalien, wo sich entweder Massen süddeutscher Touristen oder der internationale Jet-Set im Windschatten von George Clooney niederlassen. In diesen Tagen aber hat der Iseo-See der Konkurrenz den Rang abgelaufen, weil der bulgarische Künstler Christo 220 000 Plastik-Schwimmwürfel mit orangenem Stoff überziehen lassen hat, auf denen man nun auf insgesamt drei Kilometern über das Wasser laufen kann. „Floating Piers“ nennen sich die ebenso bewunderten wie nicht ganz unumstrittenen Stege, die den Lago d'Iseo für drei Wochen lang in ein fröhliches, aber offenbar teilweise grenzwertiges Delirium versetzt haben. Als der 81 Jahre alte Christo jüngst eine Pressekonferenz zu seinem wundersamen Werk gab, da wurde er auf einmal ganz fürsorglich. Christo wies auf seine rote Nase und empfahl den Besuchern dringend, die Sonnencreme nicht zu vergessen. Der orangefarbene Stoff reflektiere das Licht extrem, er habe das bereits am eigenen Leib

erfahren.  Da es sich dem Vernehmen nach bei einer Großzahl der Besucher um hellhäutige Gäste aus dem germanischen Norden handelt, sollte man den Ratschlag des Künstlers wohl nicht unterschätzen. Auf der Facebook-Seite der Veranstalter wurde der Aufruf am Mittwoch sogar erweitert: „Heute ist der bisher heißeste Tag. Tragt einen Hut, bringt einen Schirm und Wasser mit!“ Ältere Menschen und Kinder sollten sich erst nach Sonnenuntergang auf die Stege begeben. Es klang nach Abenteuer. Ein Gefühl der Anspannung bestätigen auch die Veranstalter des noch bis zum 3. Juli andauernden Großereignisses. Hier und da wirken sie sogar überfordert angesichts des unerwarteten Massenansturms in den ersten Tagen. Etwa 55 000 Besucher pro Tag, also bisher knapp 300 000 Menschen sollen sich auf den Pontons getummelt haben, mit zweifellos chaotischen Folgen für die sonst in Geruhsamkeit schwelgende Gegend. Die Veranstalter rechneten mit etwa halb so viel Zuspruch. Die Lokalpresse berichtet von einem seit der Eröffnung am vergangenen…

Kleine Zeitung, 24. Juni 2016 Die 5-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo stellt die neuen Bürgermeisterinnen von Rom und Turin. Die beiden Frauen sollen zeigen, dass Italien noch zu retten ist.

Das römische Kapitol, Sitz der Stadtverwaltung.

Das römische Kapitol, Sitz der Stadtverwaltung.

Da stand sie nun mit ihrer grün-weiß-roten Schärpe. Im schwarzen Hosenanzug, roter Bluse, das lange braune Haar fiel locker auf ihre Schultern. Ihr Blick wirkte selbstbewusst und unsicher zugleich. Ein ungewohnter Anblick der Macht in Italien. Oder ist es eher Ohnmacht? Virginia Raggi ist seit der Stichwahl am vergangenen Wochenende Roms neue Bürgermeisterin, die erste Frau überhaupt in diesem Amt. Die 37-jährige Anwältin hat jetzt einen Job, um den man sie nicht unbedingt beneidet. Mittwochabend, erster Termin als neue Amtsinhaberin. Schwarze Limousinen rollen vor der Lateransbasilika an. Minister und Kardinäle steigen aus. Es folgen Handküsse und Verbeugungen, das alte Rom aus Politik und Klerus ist zusammen gekommen, um eine Etappe des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit zu feiern, da darf natürlich auch das Stadtoberhaupt nicht fehlen. Raggi kommt im Mini-Elektroauto, natürlich ist das eine Geste. Später sitzt sie in der zweiten Reihe, wird von den anwesenden Ministern ignoriert, kaum einer begrüßt zunächst die Neue. Auch das gehört zum Programm. Sie stehen wie Feuer und Wasser zueinander, Raggi, der

aufsteigende Stern der 5-Sterne-Bewegung und das politische Establishment. Das ist die Ausgangslage. Die Bewegung des Komikers Beppe Grillo wird seit der zweiten Runde der italienischen Kommunalwahlen noch einmal ernster genommen in Italien, obwohl sie vor drei Jahren bei der Parlamentswahl bereits großen Erfolg hatte. 19 von 20 Duellen entschieden die Grillini am vergangenen Sonntag für sich, in Rom und in Turin geriet die Abstimmung zum Triumph. Raggi setzte sich mit 67 Prozent gegen ihren sozialdemokratischen Konkurrenten durch, die erst 32 Jahre alte Chiara Appendino holte 56 Prozent der Stimmen, obwohl sie nach der ersten Runde abgeschlagen zurück lag. Nicht nur übernehmen zwei junge Frauen die Macht in maßgeblichen Metropolen Italiens, dem Hauptstadt-Moloch und der ehemaligen Industrie-Stadt. Die 5-Sterne-Bewegung testet den Ernstfall. Rom und Turin sind zwei Versuchslabore auf der nächsten Etappe zur Macht. Spätestens nach den Wahlen 2018 will die Grillo-Bewegung die italienische Regierung stellen. Alle Reflektoren sind auf die jungen Frauen gerichtet,…

Augsburger Allgemeine, 28.4.2016 An der Zubereitung von Spaghetti alla Carbonara scheiden sich die Geister. Zwischen Italienern und Franzosen ist es deshalb zu einem Zerwürfnis gekommen.

Man wusste ja, dass Italiener und Franzosen sich nicht besonders leiden können. Man wusste auch, dass beide Völker es sehr ernst nehmen mit der Kunst des Kochens. Aber dass es darüber wirklich zu einem Krieg kommen musste? Der jüngste Zusammenstoß der beiden selbstbewussten romanischen Kulturen betrifft nicht etwa Grenzstreitigkeiten am Montblanc oder einen nicht gegebenen Elfmeter beim Fußball. Es geht um die Carbonara, deren Name ja eigentlich schon deutlich macht, wer die Deutungshoheit über diesen Stein des Anstoßes hat. Italien natürlich. Und doch ist zwischen Turin und Taranto vom „Krieg der Carbonara“ die Rede. Denn selbsternannte Kochkünstler jenseits der Alpen haben sich angemaßt, das berühmte italienische und insbesondere in der Stadt Rom gepflegte Pasta-Rezept neu zu interpretieren und damit die Grundfesten der italienischen Ess-Kultur zum Beben gebracht. Um zu verstehen, welches Sakrileg die Franzosen von „Demotivateur Food“ begangen haben, muss man sich gar nicht einmal ihr Video im Internet zu Gemüte führen. Selbst angeblich rustikale Gaumen erschaudern angesichts des von Frankreich begangenen Sakrilegs: rohe Schmetterlingsnudeln, roher Speck, rohe Zwiebeln werden lieblos in einen unappetitlichen Teflontopf geworfen, mit

Wasser aufgegossen und 15 Minuten lang gekocht. Sahne verboten Allein bei dieser Methode des Nudelkochens biegen sich dem Durchschnitts-Italiener die Zehennägel nach oben. Als französische Hände anschließend auch noch Sahne, nicht näher definierten Käse sowie Pfeffer in das undefinierbare Amalgam werfen, scheint das „Carbonara“ genannte Verbrechen perfekt. Auf dem ganz offensichtlich ungenießbaren Produkt im Teller platziert ein dreister Franzose zuletzt auch noch ein Eigelb. Sogar dem normalerweise eher unempfindlichen italienischen Nudelproduzenten Barilla, dessen Farfalle in dem Rezept missbraucht wurden, war das zu viel. „Mon dieu!“, distanzierte sich die Firma von dem anrüchigen Internet-Filmchen. „Wir sind offen für alle kreativen Interpretationen der mythischen Carbonara, aber diese hier geht eindeutig zu weit!“ Die Turiner Tageszeitung La Stampa stellte eine ganze „Serie kulinarischer Fehler“ fest: Einer der schwersten davon die – auch bei deutschen Kantinen- und Hobbyköchen beliebte – Beigabe von Sahne. Die angesehene Zeitung fragte, „wie man in 47 Sekunden einen Mythos…

Augsburger Allgemeine, 25.4.2016 Das Dorf der Filmhelden Don Camillo und Peppone ist von der Mafia unterwandert. Die italienische Regierung ergriff nun eine drastische Maßnahme.

Auf dem schönen Dorfplatz von Brescello ist die Welt noch in Ordnung. Vor der weißen Kirche hebt Don Camillo die Hand zum Gruß, vor dem Rathaus schwenkt Peppone den Hut. Der schlitzohrige Pfarrer und der kommunistische Bürgermeister, deren Bronzestatuen den Ort in der Emilia-Romagna schmücken, haben tausende Leser und Fernsehzuschauer beglückt. Giovannino Guareschi prägte mit seinen Erzählungen das Bild Italiens in der Nachkriegszeit. Damals kreiste das Leben um Kirche und Arbeit. Heute kommt man selbst in Brescello an der Mafia nicht vorbei. Die italienische Regierung hat nun den Gemeinderat von Brescello aufgelöst. Das nördlich der Stadt Parma gelegene Dorf, in dem sechs „Camillo und Peppone“-Filme gedreht wurden, ist von der ‘Ndrangheta unterwandert – der aus Kalabrien stammenden Mafia. Erfahrungsgemäß sind die Zustände erschreckend, wenn die Exekutive zu so einer drastischen Maßnahme greift. Seit 1991 war dies bei weit über 200 Kommunen in Italien notwendig, vor allem in den südlichen Regionen Kalabrien, Sizilien und Kampanien. In den vergangenen Jahren wurden zudem Gemeinderäte in Ligurien, im Piemont und der Lombardei aufgelöst. Und jetzt eben auch

in Brescello. Illegale Geschäfte in Norditalien Mit der 5600-Einwohner-Gemeinde hat es erstmals eine Kommune in der produktiven Emilia-Romagna getroffen. Damit ist nicht nur das italienische Dorf-Idyll aus den Filmen zerstört. Die Auflösung des Gemeinderats von Brescello und seine demnächst beginnende, 18 Monate dauernde Verwaltung durch drei Kommissare ist ein Weckruf: Selbst im scheinbar intakten italienischen Norden ist längst Misstrauen angebracht. Die Mafia hat auch da ihre Hände im Spiel, wo man sie nicht vermutete. Gleichwohl ist bekannt, dass die ‘Ndrangheta seit Jahrzehnten illegale Geschäfte in der Emilia-Romagna macht. In Brescello sind zahlreiche Mitglieder des Clans Grande Aracri ansässig, unter anderem der wegen Mafia-Zugehörigkeit verurteilte Boss Francesco Grande Aracri. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft im Rahmen der Operation „Aemilia“ und ein derzeit in der Provinzhauptstadt Reggio Emilia laufender Mega-Prozess gegen 147 Angeklagte werfen ein Schlaglicht auf die Verhältnisse. Neu hingegen scheint die systematische Verquickung der Lokalpolitik, also der heutigen Peppones zu…