Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17. Januar 2024 - José Mourinho sieht sich außerstande zu zaubern. Eine paar Tage später trennt sich AS Rom von seinem schillernden Trainer.

José Mourinho

José Mourinho

Entzauberung ist ein passendes Wort für das, was dieser Tage mit José Mourinho passiert ist. Vielleicht sogar Selbst-Entzauberung. Es war vergangene Woche, vor dem Spiel beim AC Mailand, als der Trainer des AS Rom in seiner gewöhnlich ätzenden und provokanten Art erklärte, die Leute erwarteten von ihm immer ein kleines Wunder, aber er heiße nun einmal nicht José Harry Mourinho Potter. Nein, als Zauberer kann man den 60 Jahre alten Portugiesen beim besten Willen nicht mehr bezeichnen. Am Dienstag hat die amerikanische Eigentümerfamilie Friedkin beim AS Rom den Coach von seinem Amt entbunden.Wenn Entscheidungen, einen Trainer freizustellen, für die Verantwortlichen nie leicht sind, dann muss sie diesmal besonders schwer gewesen sein. Denn Mourinho entwickelte sich innerhalb von zweieinhalb Jahren bei den Tifosi in Rom zu einer Ikone. Man hat ihm in der italienischen Hauptstadt Wandmalereien gewidmet, zu seinen Ehren Kerzen angezündet, ihm Stoßgebete gewidmet. Es wird alleine dem einstigen Meister der europäischen Pokalsiege zugeschrieben, dass er die Conference League gewann, jenen dritten, von manchen als

unterklassig angesehenen Wettbewerb nach Rom holte, als ersten größeren Titel seit der Meisterschaft 2001. Mourinholieß sich daraufhin ein Tattoo stechen, die alle drei mit ihm gewonnenen europäischen Meisterschaften, die Champions League mit dem FC Porto (2004) und Inter Mailand (2010), die Europa League mit Porto (2003) und Manchester United (2017) sowie die Conference League zeigt. Mit "Mou" war die Roma unverhofft ganz oben angekommen, wenn auch dieser Höhenflug mehr ein Gefühl als eine Tatsache war. Zweimal belegte die Mannschaft am Saisonende den sechsten Platz, obwohl eigentlich das Erreichen der Champions League die Vorgabe war. 2023 verlor das Team das Finale der Europa League gegen den FC Sevilla im Elfmeterschießen. Der Coach wurde nicht müde zu betonen, dass er solche Tifosi wie in Rom noch nicht gesehen habe. "Die unglaublichsten Fans, die ich je im Leben erlebt habe", sagte er erst in der vergangenen Woche wieder. Liebe wäre das falsche Wort zur Beschreibung jener Symbiose. Die…

Christ&Welt/DIE ZEIT, 11. Januar 2023 - Jahrelang haben konservative Glaubenshüter den Papst gebremst. Jetzt ist ein Vertrauter, Kardinal Fernández, Chef der Glaubensbehörde. Seinetwegen könnte es gegen Ende des Pontifikats noch mal rundgehen.

Papst Franziskus mit Kardinal Victor Manuel Fernández

Papst Franziskus mit Kardinal Victor Manuel Fernández

"Aber er segnet nicht die Sünde und er kann sie nicht segnen.“ So stand es am 22. Februar 2021 in einer Antwort der Glaubenskongregation auf die Frage geschrieben, ob die katholische Kirche Verbindungen von Menschen gleichen Geschlechts segnen könne. Er, damit war Gott höchstpersönlich gemeint. Wenn eine menschliche Verbindung nicht auf den Plan des Schöpfers „hingeordnet“ sei, nämlich auf die der Ehe vorbehaltene Praxis der Weitergabe des Lebens zwischen Mann und Frau, sei nichts zu machen. Es geht nun einmal nicht, so klang der Text. "Ein lauteres „Nein“ als jenes vom damaligen Präfekten Luis Ladaria war kaum vorstellbar. Papst Franziskus sei über das Schreiben informiert worden und habe seine Veröffentlichung gutgeheißen, war unten angemerkt. Das war es mit den Hoffnungen, die katholische Kirche könne unter Franziskus wirklich einen Schritt an die Ränder gehen und ihr Moralgerüst etwas weniger starr vor sich hertragen. Es war auch ein weiterer Rückschlag für den Synodalen Weg in Deutschland. Rom hat gesprochen, Ende der Angelegenheit. 34 Monate später ging es doch. Am 18. Dezember veröffentlichte die Glaubenskongregation die Erklärung

Fiducia Supplicans „über die pastorale Sinngebung von Segnungen“ und sagte plötzlich „Ja“. Paare in „irregulären Situationen“ und gleichgeschlechtliche Paare dürfen fortan gesegnet werden, und dass auch noch ohne „die beständige Lehre der Kirche über die Ehe in irgendeiner Weise zu verändern“. Es ist eine Kehrtwende um 180 Grad, die vor allem eine Frage aufwirft: Warum heißt derselbe Papst erst das Eine gut und dann das Gegenteil davon? Wenn man sich im Vatikan umhört, bekommt man unterschiedliche Antworten. Öffentlich Stellung beziehen möchte hier niemand. Ein dem Papst nahestehender Kurienerzbischof gibt pragmatische Gründe für den Schritt an: „Wir können nicht so viele Menschen ausschließen, von denen sich viele auch noch in der Kirche engagieren. Wenn ein Mörder um Vergebung bittet, bekommt er die Sakramente. Und Homosexuelle und wiederverheiratete Geschiedene lassen wir außen vor?“ Doch das erklärt noch nicht den spektakulären U-Turn, den Franziskus innerhalb von knapp drei Jahren…

der Freitag, 9. November 2023 - Maite Billerbeck litt an Schuld- und Schamgefühlen bis zur Depression. Dann erfuhr sie, dass ihr Großonkel Hans Röhwer der Haupttäter des Massakers an Juden am Lago Maggiore im September 1943 war. Ein Gespräch über den Sinn von Aufarbeitung.

Das Hotel Meina

Das Hotel Meina

Vor 80 Jahren, im September 1943, begangen SS-Männer der berüchtigten „Leibstandarte SS Adolf Hitler“ im Dorf Meina am italienischen Lago Maggiore ein Massaker an Juden. Insgesamt wurden 57 Menschen ermordet. Maite Billerbeck ist die Großnichte des Haupttäters, dem damals befehlshabenden SS-Offizier Hans Röhwer. Seit 10 Jahren beschäftigt sich die 54-jährige Psychologin mit diesem Teil ihrer Familiengeschichte. Am 23. September bat sie bei einem Gedenkakt in Meina als Großnichte des Haupttäters um Verzeihung. Ein Gespräch über den Sinn der Aufarbeitung schwieriger Familiengeschichten. Was hat Sie bewegt, sich so viele Jahre später mit den Taten ihres Großonkels auseinander zu setzen? Billerbeck: Ich bin mir in einem langen inneren Prozess bewusst geworden, dass die Aufarbeitung der eigenen Geschichte notwendig ist. Wir kommen eigentlich nicht an ihr vorbei, wenn wir aus dem Kreislauf von transgenerationaler Weitergabe und der Last von Schuld und Scham auf Seiten der Täter-Nachkommen und der Last einer traumatischen Erbschaft auf Seiten der Opfer-Nachkommen herauskommen wollen. Was bedeutet das konkret? Es geht darum, ein Trauma zu integrieren. Auch auf Seite der

Täter-Familien. Traumatische Geschehnisse, die nicht integriert werden, können über Generationen hinweg Wirkung entfalten. Ich habe das am eigenen Leib gespürt, mit unerklärlichen Scham- und Schuldgefühlen. Ich hatte sie seit ich denken kann. Im September haben Sie an einem Gedenkakt in Meina mit über 1000 Menschen teilgenommen. Was ist dort passiert? Es war überwältigend. Ich war eingeladen worden, eine kleine Rede zu halten. Anschließend kamen viele Menschen auf mich zu, die sich bedankt haben für meine Worte und mein Kommen. Ich stand da als Großnichte meines Großonkels. Viele waren dankbar und gerührt, dass sich endlich jemand von der Täterseite dieser Vergangenheit stellte. Auch oder vielleicht gerade nach so langer Zeit. Auf so eine Reaktion war ich überhaupt nicht gefasst. Ich habe gemerkt, wie wichtig die Anerkennung ist, dessen, was geschehen ist. Hat Sie die Reaktion in Meina erleichtert? Ja, es hat auch mir gut getan. Eine Starre hat sich gelöst. Ich…

Christ&Welt, 6.Oktober 2022 - Italiens designierte Ministerpräsidentin sucht das Bündnis mit rechtskonservativen Katholiken. Was ihr Kirche bedeutet, hat auch mit ihrem Vater zu tun, einem Atheisten, Kommunisten und Steuerberater.

Don Fernando Altieri ist schon genervt. Immer wieder rufen jetzt Menschen an, die in der Vergangenheit von Giorgia Meloni bohren und wissen wollen, wie das mit ihr und der Kirche ist. „Ich habe sie zuletzt vor ein paar Wochen hier gesehen“, sagt der Pfarrer der Kirche Santa Maria del Carmelo in Rom. „Letztes Jahr war sie jeden Sonntag da, jetzt sieht man sie wegen der vielen Verpflichtungen weniger.“ Wenn man nicht irrt, ist bei Don Altieri ein wenig Stolz durchzuhören, dass er ein so prominentes Gemeindemitglied hat: Giorgia Meloni, Parteichefin der ultrarechten, postfaschistischen „Brüder Italiens“, mutmaßlich bald Ministerpräsidentin Italiens und erste Frau in diesem Amt. Die Kirche Santa Maria del Carmelo im Torrino-Viertel ist ein Gebäude aus den 19070er Jahren, sie hätte das Zeug für einen Stanley-Kubrick-Film. Man kann sich künftige Regierungschefin nicht so recht vorstellen, wie sie in diesem gottgeweihten Raumschiff andächtig in der Bank sitzt, sich bekreuzt, still hält, besinnlich ist. Man hat sie ja zuletzt vor allem eher laut erlebt, im Wahlkampf. Mit Parolen wie: „Ich bin

Giorgia, ich bin eine Frau, eine Mutter, eine Italienerin, eine Christin!“ Oder: „Dio, patria, famiglia“ - Gott, Vaterland, Familie. Es gibt schlimmere Szenarien für die katholische Kirche in Italien als eine Frau, die sich gottesfürchtig, christlich und familienfreundlich gibt. Allerdings hat diese Haltung bei Meloni eine rechtsradikale Note. „Dio, patria, famiglia“ etwa ist ein Slogan, den die italienischen Faschisten unter Diktator Benito Mussolini dem italienischen Risorgimento entlehnt haben. Die italienische Trias sollte den als ungebremst wahrgenommene Freiheitswahn der französischen Revolution in sicherere Bahnen lenken. Die Faschisten nutzten den Spruch 70 Jahre später für ihre Propaganda. Die Anfänge der kleinen Giorgia hätten nicht weiter entfernt von dieser Ideologie liegen können. Der Vater, Steuerberater, Kommunist und Atheist, ließ die Familie Ende der 1970er Jahre in Rom im Stich und zog auf die Kanarischen Inseln. Als Vermächtnis verbot er der Mutter noch, die beiden Töchter zu taufen. Die vaterlose Giorgia muss ihre Großmutter…