FAZ, 28.September 2022 - Italien zieht ins Final Four der Nations League ein - doch das Trauma der verpassten WM schmerzt.

Es war Halbzeit, Ungarn lag am Montagabend mit 0:1 gegen Italien zurück. Da also die Lage noch keineswegs aussichtslos war, ließen sich die Veranstalter in der Budapester Puksás-Arena eine kleine Gemeinheit anlässlich des letzten Spiels der Gruppenphase in der Nations League einfallen. Auf der Videoleinwand im Stadion waren bewegte Bilder zu sehen, auf denen ein Spieler in azurblau einen Elfmeter verschießt. Die Situation hat in Italien den Stoff für ein kollektives Trauma. Denn hätte der in Brasilien geborene Italiener Jorginho im vergangenen November im Stadio Olimpico von Rom den Ball im Spiel gegen die Schweiz nicht über das Tor gedroschen, wäre Italien im Winter wohl bei der WM dabei. Als Gastgeber diese Szene einzuspielen, war also kein Akt der Freundlichkeit. Man muss die Mannschaft von Roberto Mancini allerdings gar nicht explizit an ihre selbstgemachten Dramen erinnern. Dass der viermalige Weltmeister und amtierende Europameister Italien zum zweiten Mal hintereinander eine WM verpasst, steckt der Nation längst in den Genen. Sogar der etwas überraschende Einzug in das Final

Four der Nations League, den Italien mit einem verdienten 2:0-Sieg gegen Ungarn bewerkstelligte, kann nicht über diese Tatsache hinwegtäuschen. Man musste am Dienstag nur die Titel der Zeitungen in Italien lesen, um zu verstehen, wie tief das Trauma trotz sitzt. „Wie traurig!“ titelte der Corriere dello Sport und schrieb: „Der Schmerz über die verpasste WM-Qualifikation ist größer.“ „Italien, bittere Freude“, war auf der ersten Seite der Gazzetta dello Sport zu lesen und darunter: „Wir sind bei den Final Four, aber das ist kein Trost“. Es ist ja tatsächlich eine nicht zu beantwortende Frage, warum die italienische Nationalmannschaft ihre Anhänger mit derartig unterschiedlichen Leistungen um den Verstand bringt. Erst der EM-Titel, dann Unentschieden gegen Bulgarien, die Schweiz und Nordirland in der WM-Qualifikation. Zuletzt ein 0:1 im Playoff gegen Nordmazedonien und die fußballerische Apokalypse. Gegen Ungarn und zuvor gegen England war ein engagiertes Team zu sehen, das mit jungen Spielern den Gegner stark unter Druck setzte,…

Wiener Zeitung, 23 September 2022 - C'è una ragione per il ritorno al potere dei post-fascisti in Italia? I traumi che tutti noi preferiremmo dimenticare e, soprattutto, non sentire più, sono la chiave del nostro presente.

Questo fine settimana si terranno le elezioni in Italia e Benito Mussolini è di nuovo sulla bocca di tutti. Nelle librerie italiane ci sono libri in vetrina che hanno come tema il duce e il fascismo italiano. "La lunga ombra del fascismo" è il titolo di uno dei libri più venduti in questi giorni, sottotitolato: "Perché l'Italia è ancora aggrappata a Mussolini" Non finirà mai? Alla fine di ottobre ricorre il centenario della presa di potere fascista in Italia. La marcia di Mussolini su Roma nel 1922 fu il colpo di inizio del cosiddetto ventennio, gli oltre 20 anni di governo fascista in Italia. Quasi esattamente 100 anni dopo, una certa Giorgia Meloni rischia di ottenere il mandato per formare il nuovo governo italiano. Meloni guida il partito post-fascista Fratelli d'Italia, che sarà la forza più forte alle elezioni. Da adolescente e da giovane donna era un'ammiratrice di Mussolini e il duce le piace ancora,

anche se non può più dirlo. Come è possibile? A volte si dice che la storia si ripete. Non si ripete. E un governo Meloni democraticamente eletto non ha nulla a che vedere con il brutale regime fascista dal 1922 in poi. Ma la storia, se non ci rendiamo conto delle sue conseguenze e la guardiamo in un processo interiore, si ripropone in variazioni. Ha a che fare con i traumi personali e collettivi che le catastrofi sociali e personali comportano. I traumi che tutti noi preferiremmo dimenticare e, soprattutto, non sentire più, sono la chiave del nostro presente. Il metodo convenzionale per affrontare questi traumi è ignorarli. Il XX secolo è stato il più sanguinoso di sempre. Solo nelle guerre sono morte oltre 100 milioni di persone. Noi occidentali pensiamo spesso di essere testimoni di un progresso irrimediabile. Da un punto di vista umano, i risultati - nonostante tutte le eccezioni e gli esempi positivi - sono devastanti. L'ingiustizia e la violenza creano traumi.…

Wiener Zeitung, 23.September 2022 - Gibt es einen Grund für die Rückkehr der Postfaschisten an die Macht in Italien? Die Traumata, die wir alle am liebsten vergessen und nicht mehr spüren wollen, sind der Schlüssel zu unserer Gegenwart.

Italienische Partisanen.

Italienische Partisanen.

An diesem Wochenende wird gewählt in Italien - und Benito Mussolini ist wieder in aller Munde. In den italienischen Buchhandlungen liegen Bücher in den Vitrinen, die den duce und den italienischen Faschismus zum Thema haben. „Der lange Schatten des Faschismus“, lautet der Titel eines der meist verkauften Bücher dieser Tage, Untertitel: „Warum Italien immer noch an Mussolini hängt“ Hört das denn nie auf? Ende Oktober jährt sich die faschistische Machtergreifung in Italien zum 100. mal. Mussolinis Marsch auf Rom im Jahr 1922 war der Startschuss des sogenannten ventennio, der mehr als 20 Jahre währenden faschistischen Herrschaft in Italien. Ziemlich genau 100 Jahre später dürfte eine gewisse Giorgia Meloni das Mandat zur Bildung der neuen italienischen Regierung bekommen. Meloni führt die postfaschistische Partei Brüder Italiens an, die stärkste Kraft bei der Wahl werden wird. Sie war als Jugendliche und junge Frau eine Verehrerin Mussolinis und mag den duce auch heute noch, auch wenn sie das so nicht mehr sagen kann. Wie ist das möglich? Manchmal heißt es, Geschichte wiederhole sich. Sie wiederholt sich nicht. Und eine

demokratisch gewählte Regierung Meloni hat nichts mit dem brutalen faschistischen Regime ab 1922 zu tun. Aber Geschichte, wenn wir uns ihre Folgen nicht klar machen und in einem inneren Prozess betrachten, präsentiert sich in Variationen wieder. Das hat mit den persönlichen und kollektiven Traumata zu tun, die gesellschaftliche und persönliche Katastrophen mit sich bringen. Die Traumata, die wir alle am liebsten vergessen und vor allem nicht mehr spüren wollen, sind der Schlüssel zu unserer Gegenwart. Die Traumata als Schlüssel zur Gegenwart Die herkömmliche Methode im Umgang mit diesen Traumata ist, sie zu ignorieren. Das 20. Jahrhundert war das blutigste Jahrhundert aller Zeiten. Über 100 Millionen Menschen starben alleine in den Kriegen. Wir im Westen meinen oft, Zeugen eines unwiederbringlichen Fortschritts zu sein. Menschlich betrachtet fällt die Bilanz – bei allen positiven Ausnahmen und Beispielen – verheerend aus. Unrecht und Gewalt erzeugen Traumata. Die kollektiven Traumata sitzen ebenso tief wie die…

Salzburger Nachrichten, 16. September 2022 - Giorgia Meloni will erste Ministerpräsidentin Italiens werden. Dazu gibt sie sich mal milde, mal radikal. Sie hat sich vom Faschismus distanziert, der spielt in ihrer Partei aber nach wie vor eine wichtige Rolle.

Giorgia Meloni.

Giorgia Meloni.

Giorgia Meloni sollte jetzt eigentlich schon da sein. Etwa 50 Menschen warten auf der Piazza Galvani in Bologna auf sie, vergeblich. Alles ist rot hier, die Fassaden, die Jalousien und die Herzen vieler Bologneser. Bologna, la rossa, die Rote, Hauptstadt der Resistenza gegen den Nazifaschismus, ist kein einfaches Pflaster für die extreme Rechte. Ein paar Funktionäre, alle freundlich, gut gelaunt, elegant in Anzug oder Hemd, informieren die Herumstehenden. „Giorgia kommt heute leider nicht“, sagt ein Parteigänger. Sie habe kurzfristig nach Rom ins Parlament gemusst. Kleine Notlüge, die die Geschichte einer verantwortungsvollen, starken Frau erzählen soll. Auch drei Damen sind auf die Piazza Galvani gekommen und tauschen sich aus. „Bologna muss sich verändern“, sagt die Eine. Da fährt ein strubbeliger junger Mann im Fahrrad vorbei und beschimpft die Sympathisanten Melonis als „Arschlöcher“. „Siehst du?“, meint die andere und schüttelt den Kopf. Die Dritte ist so begeistert von Meloni, dass für sie das Fehlen der Parteichefin der Brüder Italiens kaum ins Gewicht fällt. „Sie ist stark, eine Frau, absolut kohärent. Hoffentlich

bringt sie Italien wieder in Ordnung“, sagt sie. Um nichts Weniger geht es bei der Parlamentswahl am 25. September. Das Land in Ordnung bringen. Obwohl das vielen Beobachtern zufolge der amtierende Ministerpräsident Mario Draghi die vergangenen 17 Monate auf sinnvolle Weise versucht hatte. Doch die Wut im Volk ist groß angesichts der vielen Krisen und sie wird immer größer. Die Ambitionen vor allem der Rechten sind es ebenfalls. Die rechtsradikalen „Fratelli d'Italia“ (Brüder Italiens) stehen in den Umfragen prächtig da, laut Umfragen können sie mit rund 25 Prozent rechnen, Wahlsieger werden und mit ihren Bündnispartnern Lega und Silvio Berlusconis Forza Italia die Regierung bilden. Es wird eine Wahl der Wut sein und mit Wut kennt sich Giorgia Meloni aus. Die Flamme der Neofaschisten Am Vortag im Hafen von Genua. Etwa 300 Anhänger haben sich hier unter einem Zelt versammelt und schwingen Fahnen der Partei, die eine Flamme als Referenz an die 1946…