der Freitag, 9. November 2023 - Maite Billerbeck litt an Schuld- und Schamgefühlen bis zur Depression. Dann erfuhr sie, dass ihr Großonkel Hans Röhwer der Haupttäter des Massakers an Juden am Lago Maggiore im September 1943 war. Ein Gespräch über den Sinn von Aufarbeitung.

Das Hotel Meina

Das Hotel Meina

Vor 80 Jahren, im September 1943, begangen SS-Männer der berüchtigten „Leibstandarte SS Adolf Hitler“ im Dorf Meina am italienischen Lago Maggiore ein Massaker an Juden. Insgesamt wurden 57 Menschen ermordet. Maite Billerbeck ist die Großnichte des Haupttäters, dem damals befehlshabenden SS-Offizier Hans Röhwer. Seit 10 Jahren beschäftigt sich die 54-jährige Psychologin mit diesem Teil ihrer Familiengeschichte. Am 23. September bat sie bei einem Gedenkakt in Meina als Großnichte des Haupttäters um Verzeihung. Ein Gespräch über den Sinn der Aufarbeitung schwieriger Familiengeschichten. Was hat Sie bewegt, sich so viele Jahre später mit den Taten ihres Großonkels auseinander zu setzen? Billerbeck: Ich bin mir in einem langen inneren Prozess bewusst geworden, dass die Aufarbeitung der eigenen Geschichte notwendig ist. Wir kommen eigentlich nicht an ihr vorbei, wenn wir aus dem Kreislauf von transgenerationaler Weitergabe und der Last von Schuld und Scham auf Seiten der Täter-Nachkommen und der Last einer traumatischen Erbschaft auf Seiten der Opfer-Nachkommen herauskommen wollen. Was bedeutet das konkret? Es geht darum, ein Trauma zu integrieren. Auch auf Seite der

Täter-Familien. Traumatische Geschehnisse, die nicht integriert werden, können über Generationen hinweg Wirkung entfalten. Ich habe das am eigenen Leib gespürt, mit unerklärlichen Scham- und Schuldgefühlen. Ich hatte sie seit ich denken kann. Im September haben Sie an einem Gedenkakt in Meina mit über 1000 Menschen teilgenommen. Was ist dort passiert? Es war überwältigend. Ich war eingeladen worden, eine kleine Rede zu halten. Anschließend kamen viele Menschen auf mich zu, die sich bedankt haben für meine Worte und mein Kommen. Ich stand da als Großnichte meines Großonkels. Viele waren dankbar und gerührt, dass sich endlich jemand von der Täterseite dieser Vergangenheit stellte. Auch oder vielleicht gerade nach so langer Zeit. Auf so eine Reaktion war ich überhaupt nicht gefasst. Ich habe gemerkt, wie wichtig die Anerkennung ist, dessen, was geschehen ist. Hat Sie die Reaktion in Meina erleichtert? Ja, es hat auch mir gut getan. Eine Starre hat sich gelöst. Ich…