Augsburger Allgemeine, 25.11.2016 - Vor 200 Jahren erschien Goethes Italienische Reise. Es war der Beginn der deutschen Italiensehnsucht. Eine Spurensuche in der Gegenwart.

Auch ich habe ein Pseudonym in dieser Stadt. Wenn ich mal wieder nach meinem für Italiener unaussprechlichen Namen gefragt werde, dann verwandle ich mich in Giulio Miuller. Miuller wie der Joghurt, sage ich dann. Die meisten Römer erwarten von einem Deutschen nicht so viel Witz, weshalb mir anschließend viele Türen offen stehen. Ob es Johann Philipp Möller damals ähnlich ging? Als solcher stellte sich einst bekanntlich Johann Wolfgang von Goethe vor, als er vor ziemlich genau 230 Jahren in Rom unterwegs war. Der Name Möller diente Goethe allerdings weniger als Türöffner, im Gegenteil. Der weit über Deutschland hinaus bekannte Dichter wollte sich auf diese Weise vor allem vor aufdringlichen Landsleuten schützen. Es ist inzwischen 200 Jahre her, dass der erste Band seiner „Italienischen Reise“ erschien. Entstanden sind die für die Italiensehnsucht der Deutschen so wesentlichen Aufzeichnungen bereits dreißig Jahre früher. Schon vor seiner Ankunft konnte es Goethe kaum erwarten, Italien, aber eigentlich in erster Linie Rom zu betreten. „Ja, ich bin endlich in der Hauptstadt der Welt angelangt“, hält er am Tag seiner Ankunft, am ersten November 1786 fest. Ich glaube, ich hatte bei

meiner Ankunft ein ähnliches Gefühl, wie überhaupt die Stadt Rom ihre Bewohner dazu verleitet, die Realität aus einem verzerrten Blickwinkel wahrzunehmen. Nicht nur führen ja angeblich alle Wege hierher, die Stadt nimmt im Jahr auch etwa 15 Millionen Touristen auf, die alle kommen, um Jahrtausende alte Bauwerke einer untergegangenen, aber zweifellos großen Zivilisation zu bewundern. Die Römer sind sehr stolz auf diese Tatsache. Manche behaupten, dieses auf Ruinen errichtete und eine ungesunde Maßlosigkeit fördernde Selbstbewusstsein sei zum Beispiel der Grund dafür, dass die Stadt es einfach nicht fertig bringt, ihre vor zehn Jahren begonnene dritte U-Bahn-Linie fertigzustellen. Goethe kam als Bildungsbürger nach Rom, als es diese Kategorie noch gar nicht gab. „Befleißigen will ich mich der großen Gegenstände, lernen und mich ausbilden, ehe ich vierzig Jahre alt werde“, schreibt er über seinen Plan, wie er die Stadt für sich zu erobern gedenkt. Ich werde auch…

Wiener Zeitung, 15.11.2016 - Nach der US-Wahl rückt das Referendum in Italien in den Fokus. Der Regierung Renzi droht das Aus.

Ob Matteo Renzi sich wirklich den richtigen Berater gesucht hat? Immer wieder tauchte der amerikanische Kampagnen-Guru Jim Messina in den vergangenen Wochen im Palazzo Chigi auf, dem Sitz des italienischen Ministerpräsidenten in Rom. Für Premier Renzi geht es um alles beim Referendum am 4. Dezember, bei dem die Italiener eigentlich nur über eine Verfassungsreform abstimmen sollen, aber auch ein Urteil über die Regierung insgesamt fällen werden. Messina bewerkstelligte die Wiederwahl von US-Präsident Obama, beriet aber auch den ehemaligen britischen Premierminister David Cameron bei seiner im Desaster geendeten Anti-Brexit-Kampagne. Und zuletzt unterstützte er die misslungene Wahl von Hillary Clinton zur US-Präsidentin. Jetzt arbeitet er für Renzi. Keine exzellenten Aussichten für den Italiener, in den Umfragen liegen die Gegner der Reform vorne. Die Bedeutung der Volksabstimmung geht längst über die eigentliche Frage des Referendums hinaus. Ein „Nein“ der Italiener zur Verfassungsreform, die Renzi zum Kernprojekt seiner politischen Bemühungen erklärt hat, käme einem Misstrauensvotum gegen den 41-jährigen Premierminister gleich. Die politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen sind kaum abzuschätzen. Renzis Rücktritt wäre wahrscheinlich. Monate der Unsicherheit lägen dann vor Italien und der EU. Ein

Zeichen für die angespannte Situation auf den Finanzmärkten sind der starke Anstieg der Zinsen für zehnjährige italienische Staatsanleihen sowie der Anstieg des sogenannten Spread, der den Zinsaufschlag auf italienische Papiere im Vergleich zu deutschen Staatsanleihen misst. Von einem Tiefstand im August bei 112 Punkten schnellte er zuletzt auf über 180 Zähler nach oben. Anlegern zufolge ist die Wahrscheinlichkeit eines Euro-Austritts Italiens inzwischen höher als der Griechenlands. Lange war man sich in Italien einig, dass das aktuelle parlamentarische System die Entwicklung des Landes bremst. Um autoritäres Regieren wie zu Zeiten des Faschismus zu vermeiden, pendeln Gesetzte seit der Nachkriegszeit lange zwischen zwei gleichberechtigten, aber mit verschiedenen Mechanismen gewählten Kammern hin und her. Unterschiedliche Mehrheiten waren die Folge, ein Kreuz für die Exekutive. Die nach Renzis Reform-Ministerin Maria Elena Boschi benannte und bereits von beiden Kammern verabschiedete Verfassungsreform sieht vor, den Senat zu einer untergeordneten Kammer zu degradieren und…