Christ&Welt/DIE ZEIT, 27.1.2017 - Seit dem Mittelalter gibt es die Malteser. Jetzt droht dem Orden die Auflösung. Es geht um eine strittige Personalie. Aber auch um einen Richtungsstreit, der die gesamte katholische Kirche zu zerreißen droht.

Ein Foto aus dem Apostolischen Palast. Über der Szenerie prangt ein Ölgemälde mit Jesus Christus flankiert von den Erzengeln. Darunter Papst Franziskus in weißer Soutane in Orthopädie-Schuhen, mit Plastikarmbanduhr und Brustkreuz aus Blech. Rechts und links neben ihm haben sich je sechs ältere Ritter eindrucksvoller Gestalt aufgestellt. Es ist die fast komplett ergraute oder teilweise schon haarlose Führungsriege des Souveränen Malteserordens. Ihre schwarzen Hosen werden von goldenen Borten geziert, die Herren tragen weiße Handschuhe, rote Jacken, goldene Epauletten, Schärpen, allerlei Orden und sogar Säbel, also Dinge, die andere Menschen eher aus dem Karneval kennen. Gibt es nicht Stimmen, die behaupten, Jorge Bergoglio habe gleich nach seiner Wahl im März 2013 in der Tränenkammer neben der Sixtinischen Kapelle angekündigt, es sei nun Schluss mit dem Fasching in der katholischen Kirche? Ganz ohne Zweifel besteht schon ein optischer Kontrast zwischen dem inzwischen 80-jährigen Papst aus Argentinien und den auf Tradition und blaublütiger Abstammung beharrenden Wohltätern aus aller Welt. Die Skepsis ist nun in Aktion umgeschlagen. So könnte die simple Erklärung für den Rauswurf des neben Franziskus auf dem Foto posierenden Großmeisters Matthew Festing

lauten. In einer Privataudienz am vergangenen Dienstag forderte der Papst den Chef des Malteserordens zum Rücktritt auf. Festing kam der Aufforderung nach, der Papst nahm den Rücktritt an, am 28. Januar muss ein Gremium des Ordens die Demission bestätigen. So kompliziert geht es zu, wenn Vatikan und katholischer Hochadel aufeinander stoßen. Kampf der Kulturen Die ausführlichere Begründung für den jüngsten Paukenschlag in der Affäre um die 900 Jahre alte Organisation ist hingegen eine andere. Im Souveränen Malteserorden wird ein Kampf der Kulturen ausgetragen, wie er in vergleichbaren Zügen in der gesamten katholischen Kirche zu beobachten ist. Ein Armdrücken um die Wahrheit, das nun in einer päpstlichen Blutgrätsche im Namen der Barmherzigkeit sein vorläufiges Ende findet. Müssen sich Katholiken in aller Welt auf Verhältnisse wie im Malteserorden gefasst machen nach der Devise: Wer nicht spurt, fliegt raus? Der letztendlich mit dem Recht des…

Badische Zeitung, 24.1.2017 - Papst Franziskus misst bei der Verfolgung sexuellen Missbrauchs mit zweierlei Maß.

Kein Papst ist mit Missbrauchstätern in der katholischen Kirche so hart ins Gericht gegangen wie Franziskus. Die verbalen Verurteilungen der Täter durch den Papst sind zahlreich und gnadenlos. Franziskus nannte die Pädophile im katholischen Klerus eine „Monstrosität“. Er verglich Missbrauch mit einer „schwarzen Messe“. Bischöfe, die Fälle von Missbrauch durch ihnen untergebene Priester verheimlichen, sollten zurücktreten, forderte der Papst. Er richtete eine Kommission ein, die den Kinderschutz in der Kirche fördern soll. Und er kündigte ein Tribunal an, in dem Bischöfe für Vertuschung zur Rechenschaft gezogen werden sollten. Es klang wie eine Revolution. Dass die Realität in der katholischen Kirche weiterhin anders aussieht, hat der italienische Enthüllungsjournalist Emiliano Fittipaldi nun in seinem neuen Buch „Lussuria“ (Unzucht), das an diesem Donnerstag in Italien erscheint, ausführlich dargestellt. Fittipaldi war einer der fünf Angeklagten im sogenannten Vatileaks-II-Prozess wegen der Veröffentlichung von Geheimdokumenten über einen internen Kleinkrieg bei der Neuordnung der Finanzen des Vatikans. Der Journalist wurde im Juli 2016 von einem Vatikangericht freigesprochen. Seine Recherchen gingen weiter. Erbarmungslos gegenüber Betroffenen Die Neuordnung der Vatikanfinanzen hatte Franziskus ausgerechnet

dem australischen Kardinal George Pell anvertraut. Dessen Verhalten im Missbrauchsskandal der australischen Kirche ist mehr als zweifelhaft. Fittipaldi listet Bekanntes auf: Pells erbarmungsloses Auftreten gegenüber Opfern, seine Nachsichtigkeit mit des Missbrauchs überführten Tätern, den angeblichen Versuch der Bestechung eines Betroffenen und die direkten gegen Pell gerichteten, aber nicht bestätigten Vorwürfe. Pell hat mit 75 Jahren bereits die Pensionsgrenze für Behördenchefs im Vatikan erreicht, aber der Papst hält weiter an ihm fest. Und er ist nicht der einzige aus der obersten Machtetage im Vatikan. Da wäre etwa Kardinal Oscar Rodriguez Maradiaga, der als Bischof in Honduras eine Zeit lang einen von Interpol wegen Kindesmissbrauch gesuchten Priester unterbrachte. Maradiaga ist einer der engsten Vertrauten des Papstes, in einem Interview vor Jahren behauptete der Koordinator des Kardinalsrates, er würde eher ins Gefängnis gehen, als einen seiner Priester zu verraten. Fittipaldis Recherchen belegen: Das größte Problem in der katholischen Kirche…

Rheinische Post, 19.1.2017 - Wie ein Jugendrichter in Kalabrien die Kinder der 'Ndrangheta vor einer kriminellen Laufbahn zu bewahren versucht.

Es war im März 2011, als die Carabinieri den 16-jährigen Riccardo Cordì in die Aula des Jugendgerichts von Reggio Calabria führten. Cordì hatte ein Polizeiauto gestohlen und beschädigt. Jugendrichter Roberto Di Bella stutzte, als er den Nachnamen des Jungen las. Er hatte bereits andere jugendliche Täter aus der Familie wegen Mafia-Verbrechen verurteilt.  Die Gesichter der Angeklagten wechselten, die Namen blieben dieselben. Piromalli, Pesce, Alvaro, Pelle, Nirta oder Strangio. Auch Cordì ist der Name einer bekannten 'Ndrangheta-Familie aus Kalabrien, der Region an der Spitze des italienischen Stiefels. Die 'Ndrangheta ist eine der mächtigsten Mafia-Organisationen weltweit mit einem geschätzten Umsatz von 50 Milliarden Euro jährlich, vor allem mit Drogenhandel. Cordìs Vater, ein Mafiaboss, war 1997 während eines Kriegs verfeindeter Clans in der Stadt Locri mit mehr als einem Dutzend Schüssen in den Kopf ermordet worden. Auch Riccardos Brüder sind der Justiz bekannt. Salvatore wurde wegen Mordes zu 30 Jahren Haft verurteilt. Domenico sitzt wegen Mafiaverbrechen, Antonio ist in einer Gefängnispsychatrie inhaftiert. Der Jugendrichter fragte sich: Ist es noch zu verhindern, dass der

16-jährige Riccardo dieselbe kriminelle Laufbahn einschlägt wie seine Brüder? Eine Frage des Erbes Roberto Di Bella ist seit 20 Jahren am Jugendgericht von Reggio Calabria tätig, inzwischen als Vorsitzender. In dieser Zeit verhandelten er und seine drei Kollegen mehr als 100 Strafverfahren wegen Mafia-Verbrechen, in mehr als 50 Fällen ging es dabei um Mord. „Wir gelangten zu der Überzeugung, dass eine Erziehung zum Mafioso genauso unterbunden werden muss, wie das Aufwachsen mit gewälttätigen, alkohol- oder drogensüchtigen Eltern“, sagt Di Bella. Mafioso zu werden, sei meist keine Entscheidung. „Es ist eine Frage des Erbes“, sagt der Richter. Die 'Ndrangheta-Sprößlinge werden nicht zur Selbstständigkeit erzogen, sie lernen von Kleinauf die Gesetze der Clans, den Gebrauch von Waffen oder das Strecken von Kokain. „Die potentiellen Kriminellen aus diesem gefährlichen Umfeld herauszulösen, ist beinahe revolutionär“, sagt der Antimafia-Staatsanwalt Nicola Gratteri. Riccardo Cordì war der erste 'Ndrangheta-Sohn, dessen Familie per Gerichtsbeschluss das Sorgerecht entzogen wurde.…

Christ&Welt/DIE ZEIT, 13.1.2017 - Gerhard Ludwig Müller, der oberste Glaubenshüter des Vatikans, gilt eigentlich als Antipode des Papstes. Nun jedoch springt er Franziskus in dessen gößter Bewährungsprobe bei.

Der Kardinal sitzt da in der schwarzen Soutane. Seine Hände ruhen unterhalb des goldenen Kreuzes auf der Brust. In entscheidenden Momenten seines Vortrags dreht sich Gerhard Ludwig Müller ein wenig auf seinem Bürostuhl, auch im Fernsehen sind diese flüchtigen Augenblicke des Unwohlseins zu erkennen. Es ist ein ziemlich unbeholfenes, rheinhessisch gefärbtes Italienisch mit spanischem Einschlag, das der Präfekt der Glaubenskongregation da zum Besten gibt. Ginge es bei diesem Fernsehinterview um Rhetorik oder Klarheit der Sprache und Überzeugungskraft, der Kardinal fiele glatt durch. Aber es ist der Inhalt seiner Worte, der die Verhältnisse im Vatikan auf den Kopf zu stellen scheint. Gerhard Ludwig Müller, der bislang nicht als theologischer Vasall des dogmatisch eher flexiblen Franziskus aufgefallen ist, hat den Papst gegen seine stärksten Kritiker verteidigt. "Amoris laetitia ist sehr klar in ihrer Doktrin", lautete der unglaublichste Satz des Deutschen über das im vergangenen April veröffentlichte und wegen seiner mangelnden Präzision umstrittene Papst-Schreiben über Ehe und Familie. Entweder, so folgerten die Vatikan-Exegeten in Rom, wurde der Präfekt der Glaubenskongregation von seinem Chef als eine Art Feuerwehrmann zum Löschen eines gefährlichen Brandes

vorgeschickt. Oder es handelt sich um einen gewagten Versuch zur Rettung der Einheit in der katholischen Kirche. Das war die Spanne der Interpretationen, die nach Müllers Fernsehinterview mit dem italienischen Sender TGcom24 vom vergangenen Sonntag die Runde machten. Seit Mitte November bahnt sich ein Schwelbrand seinen Weg durch das katholische Establishment. Vier Kardinäle, unter ihnen Joachim Kardinal Meisner, gingen damals mit einem an den Papst gerichteten Brief an die Öffentlichkeit, in dem sie in einer beispiellosen Aktion ganz offen die Lehrautorität von Franziskus in dessen Schreiben Amoris laetitia anzweifeln und eine "ernsthafte Orientierungslosigkeit und große Verwirrung" vieler Gläubiger feststellen. Amoris laetitia ist die Antwort des Papstes auf die Gespräche bei den beiden Synoden in den Jahren 2014 und 2015, als die katholischen Bischöfe hitzige Diskussionen über das rechte Verhältnis von Familie, Ehe, Moral und Tradition führten. Sex oder kein Sex Der springende Punkt bei den Debatten war die Zulassung…