fluter, 26.6.2015 Der italienische Kriminologe Andrea Di Nicola über das schmutzige Geschäft der Schleuser

Die Autoren Andrea Di Nicola (links) und Giampaolo Musumeci.

Die Autoren Andrea Di Nicola (links) und Giampaolo Musumeci.

Die EU will die Schleuserkriminalität bekämpfen. Aber wie? Der italienische Kriminologe Andrea Di Nicola hat jahrelang über die Mechanismen und die Hintermänner des Geschäfts mit den Migranten recherchiert. fluter: Angenommen, ich lebe in einem Dorf in Somalia und will nach Hamburg fliehen. Wie gehe ich vor?  Di Nicola: Du hörst dich bei Bekannten um und bekommst eine Telefonnummer von einem Agenten, der für deine Gegend zuständig ist. Er sagt dir: „Ich bringe dich für 1.000 Dollar in den Niger, dann musst du selbst weitersehen.“ So arbeitest du dich Schritt für Schritt weiter. Irgendwann hast du mit den Männern zu tun, die dich über die Grenze nach Libyen bringen. Dort wirst du in eine der Hütten irgendwo an der Küste gepfercht. Wenn du Pech hast, wirst du Opfer von Gewalt. Die Schlepper wollen die Kontrolle über die Menschen haben. Schließlich geht es irgendwann nachts los, ihr werdet auf einen Kahn gedrängt. Tage später greift euch die italienische Marine auf. Die Italiener können euch nicht zwingen, Fingerabdrücke abzugeben. An Land hörst du dich um,

suchst Kontakte zu Schleppern, die dich bis nach Deutschland bringen, im Auto zum Beispiel. Oder du versuchst allein dein Glück. In Ihrem Buch „Bekenntnisse eines Menschenhändlers“ schreiben Sie: „Es wird Zeit, dass wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass es sich bei Schleusern um kleine Gauner handelt, die sich auf die Schnelle ein paar Dollar verdienen wollen.“ Wer steckt hinter den kriminellen Organisationen, die die Flüchtlinge nach Europa schleusen? Man muss sich das wie in der freien Wirtschaft vorstellen. Da gibt es kleine und große, mittlere und multinationale Unternehmen. So ist das auch im Business der illegalen Einwanderung. Das sind knallharte Geschäftsmänner, die in einem gigantischen Netzwerk zusammenarbeiten und ihre Vertreter selbst in den abgelegensten Gegenden der Welt haben. Muss man sich das wie eine Art Mafia vorstellen? Nein. Das sind organisierte Kriminelle, aber keine Mafiosi. Es sind auch sehr kleine Gruppen darunter. Jeder arbeitet auf seinem Reiseabschnitt,…