Das Beste kommt zum Schluss

Christ&Welt/DIE ZEIT, 11. Januar 2023 - Jahrelang haben konservative Glaubenshüter den Papst gebremst. Jetzt ist ein Vertrauter, Kardinal Fernández, Chef der Glaubensbehörde. Seinetwegen könnte es gegen Ende des Pontifikats noch mal rundgehen.

Papst Franziskus mit Kardinal Victor Manuel Fernández

Papst Franziskus mit Kardinal Victor Manuel Fernández

„Aber er segnet nicht die Sünde und er kann sie nicht segnen.“ So stand es am 22. Februar 2021 in einer Antwort der Glaubenskongregation auf die Frage geschrieben, ob die katholische Kirche Verbindungen von Menschen gleichen Geschlechts segnen könne. Er, damit war Gott höchstpersönlich gemeint. Wenn eine menschliche Verbindung nicht auf den Plan des Schöpfers „hingeordnet“ sei, nämlich auf die der Ehe vorbehaltene Praxis der Weitergabe des Lebens zwischen Mann und Frau, sei nichts zu machen. Es geht nun einmal nicht, so klang der Text.

„Ein lauteres „Nein“ als jenes vom damaligen Präfekten Luis Ladaria war kaum vorstellbar. Papst Franziskus sei über das Schreiben informiert worden und habe seine Veröffentlichung gutgeheißen, war unten angemerkt. Das war es mit den Hoffnungen, die katholische Kirche könne unter Franziskus wirklich einen Schritt an die Ränder gehen und ihr Moralgerüst etwas weniger starr vor sich hertragen. Es war auch ein weiterer Rückschlag für den Synodalen Weg in Deutschland. Rom hat gesprochen, Ende der Angelegenheit.

34 Monate später ging es doch. Am 18. Dezember veröffentlichte die Glaubenskongregation die Erklärung Fiducia Supplicans „über die pastorale Sinngebung von Segnungen“ und sagte plötzlich „Ja“. Paare in „irregulären Situationen“ und gleichgeschlechtliche Paare dürfen fortan gesegnet werden, und dass auch noch ohne „die beständige Lehre der Kirche über die Ehe in irgendeiner Weise zu verändern“. Es ist eine Kehrtwende um 180 Grad, die vor allem eine Frage aufwirft: Warum heißt derselbe Papst erst das Eine gut und dann das Gegenteil davon?

Wenn man sich im Vatikan umhört, bekommt man unterschiedliche Antworten. Öffentlich Stellung beziehen möchte hier niemand. Ein dem Papst nahestehender Kurienerzbischof gibt pragmatische Gründe für den Schritt an: „Wir können nicht so viele Menschen ausschließen, von denen sich viele auch noch in der Kirche engagieren. Wenn ein Mörder um Vergebung bittet, bekommt er die Sakramente. Und Homosexuelle und wiederverheiratete Geschiedene lassen wir außen vor?“

Doch das erklärt noch nicht den spektakulären U-Turn, den Franziskus innerhalb von knapp drei Jahren hingelegt hat in einer Frage, die als konstitutiv für die Kirche angesehen wird, dem Umgang mit Homosexualität. Zu hören ist hinter den Vatikanmauern, natürlich sei Fiducia Supplicans auch eine Reaktion auf die Forderungen des Synodalen Weges in Deutschland. Der Vatikan ist nicht mehr so flüssig wie einst, die deutsche Kirche habe als Geldgeber großes Gewicht. Auch solche Überlegungen spielen offenbar eine Rolle.

Am Ende kommen alle Franziskus-Exegeten in einem Namen überein: Victor Manuel Fernández, 61 Jahre alt, seit September Kardinal, Spitzname „Tucho“, nach einem berühmten argentinischen Fußballspieler der 1940er Jahre. Fernández löste im Sommer den Jesuiten Ladaria als Präfekt der Glaubenskongregation ab. Seither habe sich viel geändert, berichten sie im Vatikan. Der Papst fühle sich pudelwohl mit seinem Leib- und Magen-Theologe an der Seite. Ladaria habe gebremst. So erklärt sich auch die von Franziskus abgesegnete Erklärung von 2021.

Denn auch ein Papst kann nur begrenzt dazwischenfunken, wenn ein Behördenchef die reine Lehre wiederholt. Es ist ein Irrtum, dass Franziskus in der Kirche schalten und walten kann, wie er möchte. Er ist Zwängen unterworfen, muss auf Empfindlichkeiten Rücksicht nehmen, muss als Hüter der Einheit vor allem den Laden zusammenhalten und Abspaltungsbewegungen verhindern. „Die Zeit ist mehr Wert als der Raum“, formulierte Franziskus in seiner Programmschrift Evangelii Gaudium von 2014. Damit ist langfristiges Denken und Agieren gemeint, man solle nicht der Versuchung erliegen, sofort Ergebnisse erzielen zu wollen.

Das gilt auch für die Besetzung des wichtigsten Amtes in der Kurie, die Glaubenskongregation, die seit der Kurienreform 2022 offiziell „Dikasterium für die Glaubenslehre“ heißt. Von Benedikt XVI. übernahm Franziskus Gerhard Ludwig Müller, den er erst 2017 entließ. Dann kam Ladaria, der den Synodalen Weg ausbremste. Fernández war dem ersten Ruf Bergoglios nach Rom nicht gefolgt. Den Konservativen ist der Argentinier ein Graus, Müller bezeichnete einige seiner Ansichten einst als „häretisch“.

Fernández und Jorge Bergoglios hingegen sind seit dessen Zeit als Erzbischof von Buenos Aires eng vertraut. Fernández wurde damals zum theologischen Bezugspunkt des heutigen Papstes, der in Barmherzigkeit und Volksfrömmigkeit den wahren Kern des Glaubens erkennt, aber selbst keine Muße für theologische Debatten hat. Fernández schon. Er war Bergoglios engster theologischer Berater auf der Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe 2007 in Aparecida. Bergoglio und Fernández verfassten das Schlussdokument maßgeblich mit.

Und so hielt es Bergoglio dann auch als Papst. Seine Programmschrift Evangelii Gaudium (2014) soll zu weiten Teilen Fernández verfasst haben, genauso wie das bislang umstrittenste Dokument des Pontifikats, Amoris Laetitia (2017), in dem sich teilweise wörtliche Passagen aus alten Aufsätzen von Fernández finden. Darin erlaubt Franziskus beinahe schamhaft in einer Fußnote wiederverheirateten Geschiedenen in Ausnahmefällen die Kommunion.

Der Geist von Amoris Laetitia ist auch der Geist von Fiducia Supplicans. In seinem Berufungsschreiben für Fernández schreibt Franziskus: „Wir brauchen eine Denkweise, in der Gott überzeugend dargestellt wird als Gott, der liebt, der vergibt, der rettet, der befreit, der die Menschen fördert und sie zum brüderlichen Dienst ruft.“ Das ist die Devise, die das Duo der Barmherzigkeit nun auch in lehramtliche Erklärungen gießt. Fernández ist für Franziskus das, was Joseph Ratzinger für Johannes Paul II. war – auch wenn Puristen bei diesem Vergleich erschaudern mögen. Franziskus hält wenig von Theologen, aber größte Stücke auf seinen Ghostwriter. Das war schon bei seiner ersten Bischofsernennung als Papst erkennbar. Nur zwei Monate nach seiner Wahl ernannte er Fernández zum Bischof. 2018 wurde er Erzbischof der Diözese La Plata.

Dass Fiducia Supplicans veröffentlicht werden konnte, hat vor allem mit dem Amtswechsel in der Glaubenskongregation zu tun. Auch die Störmanöver der Erzkonservativen spielten eine Rolle. Als die Kardinäle Walter Brandmüller und Raymond Leo Burke Franziskus im Juli vor der Bischofssynode mit neuen „Dubia“ in die Enge treiben wollten, nahm der Papst den späteren Handstreich bereits voraus. Hinsichtlich der Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften müsse „in pastoraler Klugheit eine angemessene Entscheidung getroffen werden“, ob es Formen für solche Segnungen geben kann, antwortete Franziskus auf einen der Zweifel.

Die Frage der Segnungen für homosexuelle Paare schwebte bei allen Bischofssynoden seit 2014 im Raum, nie wagten die Bischöfe den Schritt. Mit Fernández an seiner Seite wurde gewissermaßen die Barmherzigkeit vom Zaum gelassen, mit dem Theologen seines Vertrauens an der Seite konnte Franziskus die Segnungen nun im Hauruckverfahren erlauben. Fiducia Supplicans, was soviel bedeutet wie „flehendes Vertrauen“ ist ein Dokument von größter Bedeutung, es ist die erste Erklärung der Glaubenskongregation seit Dominus Iesus aus dem Jahr 2000. Laut Fernández, der Anfang Januar nach lauten Protesten ein Erklärungsschreiben nachschickte, ist das Dokument „eine wirkliche Weiterentwicklung über das hinaus, was vom Lehramt und in den offiziellen Texten der Kirche über die Segnungen gesagt wurde“. Über liturgische Segnungen hinaus soll es nun auch solche pastoraler Art geben.

Der Aufschrei war groß. Auch deshalb schob Fernández komisch anmutende Hinweise nach wie den, dass so ein Segen de facto nur im Vorbeigehen erteilt werden solle („Es ist eine Angelegenheit von 10 oder 15 Sekunden“). Mit allen möglichen theologischen Verrenkungen versuchte er den Eindruck zu vermitteln, der pastorale Segen sei meilenweit entfernt von einer sakramentalen Anerkennung der Partnerschaft wie im Fall der Ehe. An der kann Franziskus freilich nicht rütteln.

Knapp 25 der insgesamt 100 Bischofskonferenzen protestierten bislang offen gegen Fiducia Supplicans. Die der Ukraine ist dabei, Polen, Ungarn, dann eine ganze Reihe afrikanischer Länder. Nigeria, Ghana, Kamerun, Angola, Benin, Gabun, Malawi, Mosambik, Ruanda, Togo und Malawi zum Beispiel. In vielen afrikanischen Ländern wird Homosexualität bis heute strafrechtlich verfolgt.

Kardinal Fridolin Ambongo, Erzbischof von Kinshasa, Vorsitzender des Verbunds der afrikanischen Bischofskonferenzen und einer der neun Kardinäle, die Franziskus beraten, schilderte die Reaktionen vor Ort so: „Gleich, als das Dokument veröffentlicht wurde, gab es eine wütende, enttäuschte Reaktion von Seiten unserer Gläubigen. Ich selbst habe viele Nachrichten von unseren Gläubigen erhalten, die sich fragten, ob es wirklich wahr sei, dass dieses Dokument von Seiner Heiligkeit unterzeichnet wurde. Es gab viel, viel Wut.“ Das Dokument führe zu „vielen Missverständnissen, zu Unverständnis, zu Schock bei den Gläubigen“.

Kardinal Müller sprach gar von „Blasphemie“, von Gotteslästerung. Die polnische Bischofskonferenz hielt fest: Die Ausübung sexueller Handlungen außerhalb der Ehe sei „immer ein Verstoß gegen den Willen und die Weisheit Gottes“, dies gelte insbesondere für Menschen in gleichgeschlechtlichen Beziehungen.

Wir werden uns daran gewöhnen müssen“, antwortet Fernández in seiner nachgeschobenen Erklärung, „dass wenn ein Priester so einen Segen gibt, er kein Häretiker ist“. Er überlässt es den Bischöfen, wie sie diese neue Möglichkeit handhaben wollen, ob aktiv oder passiv, ganz im Sinne der 2014 in Evangelii Gaudium versprochenen „heilsamen Dezentralisierung“. Wo Homosexualität verfolgt werde, seien solche Segnungen „nicht angezeigt“. Eine andere Lehre als die päpstliche dürften die Kritiker aber nicht vertreten, hält Fernández fest.

Nun lenken der Papst und sein Präfekt die katholische Kirche in der Endphase des Pontifikats. Franziskus ist 87 Jahre alt und nicht mehr bei guter Gesundheit. Er musste mehrfach am Darm operiert werden, litt an Atemwegsbeschwerden, ist stark übergewichtig, geht am Stock und wird im Rollstuhl geschoben. Elan hat Franziskus aber offenbar noch. „Er steht auf dem Gaspedal“, schreibt die Zeitung La Repubblica über die Dynamik zum Ende des Pontifikats. Es könnte also, zum Abschluss, noch ein paar Überraschungen geben.

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