Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. Juli 2016 Warum hat Italien die wichtigen Duelle mit Deutschland immer gewonnen? Gianni Rivera, 1970 Siegtorschütze im Jahrhundertspiel und später Europa-Parlamentarier, erklärt es im Interview.

Gianni Rivera. Hier auf einer alten Briefmarke im Dress des AC Mailand.

Gianni Rivera. Hier auf einer alten Briefmarke im Dress des AC Mailand.

Es war ein eher unspektakulärer Flachschuss, mit dem Gianni Rivera die deutsch-italienische Rivalität im Fußball begründete. Am 17. Juni 1970 erzielte der damalige Angreifer des AC Mailand in der Verlängerung des WM-Halbfinales das Tor zum 4:3-Sieg für Italien. Seither gilt Rivera als (natürlich parteiischer) Experte für deutsch-italienische Duelle. Rivera ist heute 72 Jahre alt und Funktionär beim italienischen Fußballverband. Zuvor war er als Christdemokrat EU-Parlamentarier, italienischer Abgeordneter und Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Ihr legendärer Treffer zum 4:3 im WM-Halbfinale 1970 gegen Deutschland liegt jetzt 46 Jahre zurück und ist doch immer wieder ein Thema. Warum? Richtig verstanden habe ich das nie. Fernsehen gab es damals erst seit kurzer Zeit. Es war Sommer, viele Leute, die gar nicht so viel übrig hatten für Fußball, sahen die Partie. Das war ein kollektives Erlebnis. Außerdem ist das Spiel ständig gekippt. Erst lagen wir vorne, dann hat Karl-Heinz Schnellinger in der 90. Minute ausgeglichen. In der Verlängerung ist Deutschland mit Gerd Müller in Führung gegangen, wir haben ausgeglichen, dann hat uns Gigi Riva in Führung gebracht. Wieder

der Ausgleich durch Müller. Und dann kam ich, 111. Minute. Stimmen Sie zu, dass Ihr Treffer der Beginn der deutsch-italienischen Rivalität im Fußball war? Das kann man so sagen. Es war schon verrückt. Ihr wart damals bekannt für Kraft, Körperlichkeit und Ausdauer. Wir galten in dieser Hinsicht als unterlegen. Dass wir uns in der Verlängerung durchsetzten, war also ein doppelter Erfolg. Das Spiel wurde zum „Spiel des Jahrhunderts“, weil es immer auf und ab ging, beide Mannschaften standen kurz vor dem Sieg, dann kam das andere Team wieder zurück. Danach waren alle irgendwie aufgewühlt, nicht nur Italiener und Deutsche. Welche besonderen Erinnerungen haben Sie an damals? Das war ein ganz besonderer, emotionaler Moment. Die Leute in Italien liefen auf die Plätze und hatten erstmals seit langer Zeit wieder Grund in aller Öffentlichkeit zu feiern. Der Krieg war noch nicht lange vorbei. Auch politisch war die Zeit in Italien…

Augsburger Allgemeine, 27. Juni 2016 Die Floating Piers des bulgarischen Künstlers Christo versetzen eine sonst eher abgeschiedene Gegend in den Ausnahmezustand.

Floating Piers. Das begehbare Kunstwerk des Künstlers Cristo am Lago d'Iseo.

Floating Piers. Das begehbare Kunstwerk des Künstlers Cristo am Lago d'Iseo.

Man kann nicht behaupten, dass der Lago d'Iseo in diesen Tagen seine übliche, familiäre Besinnlichkeit verströmt. Der See liegt ja eigentlich im gemütlichen Schatten zwischen Gardasee und Comer See in Norditalien, wo sich entweder Massen süddeutscher Touristen oder der internationale Jet-Set im Windschatten von George Clooney niederlassen. In diesen Tagen aber hat der Iseo-See der Konkurrenz den Rang abgelaufen, weil der bulgarische Künstler Christo 220 000 Plastik-Schwimmwürfel mit orangenem Stoff überziehen lassen hat, auf denen man nun auf insgesamt drei Kilometern über das Wasser laufen kann. „Floating Piers“ nennen sich die ebenso bewunderten wie nicht ganz unumstrittenen Stege, die den Lago d'Iseo für drei Wochen lang in ein fröhliches, aber offenbar teilweise grenzwertiges Delirium versetzt haben. Als der 81 Jahre alte Christo jüngst eine Pressekonferenz zu seinem wundersamen Werk gab, da wurde er auf einmal ganz fürsorglich. Christo wies auf seine rote Nase und empfahl den Besuchern dringend, die Sonnencreme nicht zu vergessen. Der orangefarbene Stoff reflektiere das Licht extrem, er habe das bereits am eigenen Leib

erfahren.  Da es sich dem Vernehmen nach bei einer Großzahl der Besucher um hellhäutige Gäste aus dem germanischen Norden handelt, sollte man den Ratschlag des Künstlers wohl nicht unterschätzen. Auf der Facebook-Seite der Veranstalter wurde der Aufruf am Mittwoch sogar erweitert: „Heute ist der bisher heißeste Tag. Tragt einen Hut, bringt einen Schirm und Wasser mit!“ Ältere Menschen und Kinder sollten sich erst nach Sonnenuntergang auf die Stege begeben. Es klang nach Abenteuer. Ein Gefühl der Anspannung bestätigen auch die Veranstalter des noch bis zum 3. Juli andauernden Großereignisses. Hier und da wirken sie sogar überfordert angesichts des unerwarteten Massenansturms in den ersten Tagen. Etwa 55 000 Besucher pro Tag, also bisher knapp 300 000 Menschen sollen sich auf den Pontons getummelt haben, mit zweifellos chaotischen Folgen für die sonst in Geruhsamkeit schwelgende Gegend. Die Veranstalter rechneten mit etwa halb so viel Zuspruch. Die Lokalpresse berichtet von einem seit der Eröffnung am vergangenen…

Kleine Zeitung, 24. Juni 2016 Die 5-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo stellt die neuen Bürgermeisterinnen von Rom und Turin. Die beiden Frauen sollen zeigen, dass Italien noch zu retten ist.

Das römische Kapitol, Sitz der Stadtverwaltung.

Das römische Kapitol, Sitz der Stadtverwaltung.

Da stand sie nun mit ihrer grün-weiß-roten Schärpe. Im schwarzen Hosenanzug, roter Bluse, das lange braune Haar fiel locker auf ihre Schultern. Ihr Blick wirkte selbstbewusst und unsicher zugleich. Ein ungewohnter Anblick der Macht in Italien. Oder ist es eher Ohnmacht? Virginia Raggi ist seit der Stichwahl am vergangenen Wochenende Roms neue Bürgermeisterin, die erste Frau überhaupt in diesem Amt. Die 37-jährige Anwältin hat jetzt einen Job, um den man sie nicht unbedingt beneidet. Mittwochabend, erster Termin als neue Amtsinhaberin. Schwarze Limousinen rollen vor der Lateransbasilika an. Minister und Kardinäle steigen aus. Es folgen Handküsse und Verbeugungen, das alte Rom aus Politik und Klerus ist zusammen gekommen, um eine Etappe des Heiligen Jahres der Barmherzigkeit zu feiern, da darf natürlich auch das Stadtoberhaupt nicht fehlen. Raggi kommt im Mini-Elektroauto, natürlich ist das eine Geste. Später sitzt sie in der zweiten Reihe, wird von den anwesenden Ministern ignoriert, kaum einer begrüßt zunächst die Neue. Auch das gehört zum Programm. Sie stehen wie Feuer und Wasser zueinander, Raggi, der

aufsteigende Stern der 5-Sterne-Bewegung und das politische Establishment. Das ist die Ausgangslage. Die Bewegung des Komikers Beppe Grillo wird seit der zweiten Runde der italienischen Kommunalwahlen noch einmal ernster genommen in Italien, obwohl sie vor drei Jahren bei der Parlamentswahl bereits großen Erfolg hatte. 19 von 20 Duellen entschieden die Grillini am vergangenen Sonntag für sich, in Rom und in Turin geriet die Abstimmung zum Triumph. Raggi setzte sich mit 67 Prozent gegen ihren sozialdemokratischen Konkurrenten durch, die erst 32 Jahre alte Chiara Appendino holte 56 Prozent der Stimmen, obwohl sie nach der ersten Runde abgeschlagen zurück lag. Nicht nur übernehmen zwei junge Frauen die Macht in maßgeblichen Metropolen Italiens, dem Hauptstadt-Moloch und der ehemaligen Industrie-Stadt. Die 5-Sterne-Bewegung testet den Ernstfall. Rom und Turin sind zwei Versuchslabore auf der nächsten Etappe zur Macht. Spätestens nach den Wahlen 2018 will die Grillo-Bewegung die italienische Regierung stellen. Alle Reflektoren sind auf die jungen Frauen gerichtet,…

Augsburger Allgemeine, 28.4.2016 An der Zubereitung von Spaghetti alla Carbonara scheiden sich die Geister. Zwischen Italienern und Franzosen ist es deshalb zu einem Zerwürfnis gekommen.

Man wusste ja, dass Italiener und Franzosen sich nicht besonders leiden können. Man wusste auch, dass beide Völker es sehr ernst nehmen mit der Kunst des Kochens. Aber dass es darüber wirklich zu einem Krieg kommen musste? Der jüngste Zusammenstoß der beiden selbstbewussten romanischen Kulturen betrifft nicht etwa Grenzstreitigkeiten am Montblanc oder einen nicht gegebenen Elfmeter beim Fußball. Es geht um die Carbonara, deren Name ja eigentlich schon deutlich macht, wer die Deutungshoheit über diesen Stein des Anstoßes hat. Italien natürlich. Und doch ist zwischen Turin und Taranto vom „Krieg der Carbonara“ die Rede. Denn selbsternannte Kochkünstler jenseits der Alpen haben sich angemaßt, das berühmte italienische und insbesondere in der Stadt Rom gepflegte Pasta-Rezept neu zu interpretieren und damit die Grundfesten der italienischen Ess-Kultur zum Beben gebracht. Um zu verstehen, welches Sakrileg die Franzosen von „Demotivateur Food“ begangen haben, muss man sich gar nicht einmal ihr Video im Internet zu Gemüte führen. Selbst angeblich rustikale Gaumen erschaudern angesichts des von Frankreich begangenen Sakrilegs: rohe Schmetterlingsnudeln, roher Speck, rohe Zwiebeln werden lieblos in einen unappetitlichen Teflontopf geworfen, mit

Wasser aufgegossen und 15 Minuten lang gekocht. Sahne verboten Allein bei dieser Methode des Nudelkochens biegen sich dem Durchschnitts-Italiener die Zehennägel nach oben. Als französische Hände anschließend auch noch Sahne, nicht näher definierten Käse sowie Pfeffer in das undefinierbare Amalgam werfen, scheint das „Carbonara“ genannte Verbrechen perfekt. Auf dem ganz offensichtlich ungenießbaren Produkt im Teller platziert ein dreister Franzose zuletzt auch noch ein Eigelb. Sogar dem normalerweise eher unempfindlichen italienischen Nudelproduzenten Barilla, dessen Farfalle in dem Rezept missbraucht wurden, war das zu viel. „Mon dieu!“, distanzierte sich die Firma von dem anrüchigen Internet-Filmchen. „Wir sind offen für alle kreativen Interpretationen der mythischen Carbonara, aber diese hier geht eindeutig zu weit!“ Die Turiner Tageszeitung La Stampa stellte eine ganze „Serie kulinarischer Fehler“ fest: Einer der schwersten davon die – auch bei deutschen Kantinen- und Hobbyköchen beliebte – Beigabe von Sahne. Die angesehene Zeitung fragte, „wie man in 47 Sekunden einen Mythos…