Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.1.2011 Fußball als Mittel zur Geldwäsche, Nachwuchsrekrutierung und Eintrittskarte in Italiens bessere Gesellschaft.

Raffaele Cantone lebt mehrere hundert Kilometer weit entfernt von den Mafiabossen, die ihm nach dem Leben trachten. Aber seine drei Leibwächter lassen den ehemaligen Staatsanwalt auch im gut gesicherten Justizpalast in Rom nicht einen Moment aus den Augen. Die Mafia vergisst nicht. Nach Ablauf seiner regulären Amtszeit als Antimafia-Staatsanwalt in Neapel arbeitet er schon seit 2007 in Rom in einer Sonderabteilung des Verfassungsgerichts. Bekannt wurde der 47 Jahre alte Jurist durch seine Ermittlungen gegen den mächtigen Camorra-Clan der Casalesi. Einige Erinnerungen hat Cantone nun in einem Buch ("I Gattopardi", Mondadori-Verlag) zusammengefasst. Die Beziehungen zwischen Mafia und Fußball spielen darin eine zentrale Rolle. "Die Mafia interessiert sich vor allem deshalb für den Fußball, weil hier sehr viel Geld zirkuliert", sagt Cantone und wird im Fünf-Minuten-Takt von Kollegen in der Bar des Justizpalasts gegrüßt. Seine Ermittlungen, auf denen auch der Bestseller "Gomorrha" von Roberto Saviano fußt, haben ihn auch unter den Kollegen prominent gemacht. Die Mafia kontrolliere nicht nur Teile des Wettgeschäfts in Süditalien. "Fußballvereine wirken für viele Mafiosi wie Türöffner in

eine Welt, zu der sie sonst nur schwer Zugang bekommen." Der bekannteste Fall, den Cantone im Jahr 2004 aufdeckte, ist der Versuch der Camorra, den Erstligaklub Lazio Rom zu übernehmen. Bei seinen Ermittlungen gegen das illegale Müllbusiness der Casalesi stieß Cantone eher zufällig auf den Versuch eines Camorra-Unternehmers, mit Hilfe des Strohmannes Giorgio Chinaglia, einem früheren Fußballprofi, die Mehrheit an Lazio zu erwerben. Das notwendige Geld sollte über ein Konto in Ungarn laufen. Cantone vermutet, der Unternehmer Giuseppe Diana aus Casal di Principe habe so illegal erworbenes Kapital waschen wollen. Die Übernahme wurde durch die Ermittlungen gestoppt, Diana sitzt heute in Haft. "Besonders ein Aspekt wird an dieser Geschichte deutlich", sagt Cantone: "Die Camorra hat mittels eines Fußballvereins versucht, in einen anderen Kosmos vorzudringen." Man müsse sich nur einmal ansehen, wer in Rom auf der Ehrentribüne sitzt: Einflussreiche Unternehmer, hohe Amtsträger, Minister, Menschen, die wichtige Entscheidungen treffen und über die…

Süddeutsche Zeitung, 19.8.2010 Geboren in Novara, groß geworden in Mailand: Der Campari gilt immer noch als Inbegriff des Aperitifs.

Es heißt, es bringe Glück, wenn man in der Mailänder Galleria Vittorio Emanuele II. seine rechte Ferse auf die Stierhoden setzt und sich im Kreis dreht. Die Hoden gehören dem Stier im Wappen der Stadt Turin, das in der achteckigen Zentralhalle in den feinen Marmorboden der berühmten Passage eingelassen ist. Kommt man am späten Nachmittag, ist im Hintergrund bereits das Klirren der Eiswürfel zu vernehmen. Die Galleria Vittorio Emanuele II. ist so etwas wie der Mittelpunkt der Aperitifkultur, auch wenn sich neben den Luxusboutiquen die Fastfoodketten in den prächtigen Hallen eingenistet haben. Der Grund, weshalb die Mailänder hier das Turiner Wappen mit Füßen treten, mag auch darin liegen, dass es in Turin die ersten italienischen Kaffeehäuser gab, im Piemont die ersten Mundschenks an neuen Aperitifs experimentierten und eben nicht in der Lombardei. Turin und sein Stier sind also für die Mailänder immer noch eine Bedrohung, wenn es um die Erfindung des Aperitifs geht. Auch wenn das, was in anderen Ländern als „Happy Hour“ oder „Vorglühen“ bezeichnet wird, erst in Mailand zu wahrer Größe und Weltruhm gereift ist,

wie die Mailänder nicht zu Unrecht behaupten. Ein Zentrum dieser ursprünglich erhabenen Kultur ist auch heute noch das „Caffè Campari“, das später in „Camparino“ umbenannt wurde und heute „Caffè Zucca“ heißt. Die Häppchen der High Society Davide Campari, Sohn des Campari-Erfinders Gaspare, übernahm 1915 das Lokal als „Camparino“ in der noblen und nach dem Einheits-König benannten Galleria Vittorio Emanuele II. Der Bitter war da bereits ein etablierter Drink, den die Mailänder Intellektuellen mit der High Society schlürften und dazu Häppchen aßen. Schon damals bekamen Giuseppe Verdi, Giacomo Puccini und später auch Arturo Toscanini auf dem Rückweg von der Scala einen in Eissplitter getauchten Glasbecher von Kellnern in weißer Livree. Heute noch hängt der elegante, schmiedeeiserne Lampenschirm von der hohen Decke, ziehen bunte Wandmosaike die Blicke auf sich und diskutieren im Séparée Geschäftsleute auf der Suche nach der besten Strategie. Die Szenerie wird von der…

Süddeutsche Zeitung, 6.5.2010 Roms Opernhaus kämpft seit Jahren gegen seinen schlechten Ruf

Es hilft, sich einmal die geographische Lage des Teatro dell’Opera in Rom anzusehen. Das klotzige, einem Ministerium gleichende Gebäude liegt auf dem Viminal-Hügel, einen Steinwurf entfernt vom Innenministerium. Den Platz vor dem Opernhaus schmücken vier stattliche Palmen, die anscheinend noch nicht vom Palmrüssler befallen sind, dem Insekt, das im Rest Italiens derzeit die Pflanzen dahinrafft. Von hier muss man nur die Via Nazionale überqueren, um zum Quirinal zu gelangen. Dort hat Staatspräsident Giorgio Napolitano jenes Regierungsdekret unterschrieben, gegen das Opern und Musiktheater in Italien nun Sturm laufen. Von Napolitanos Amtspalast ist es wieder nur ein paar Schritte hinunter zum Marsfeld, wo die Römer einst ihre Truppenübungen abhielten und heute die Mitglieder des Kabinetts von Ministerpräsident Silvio Berlusconi im Dekretieren von Gesetzen wetteifern. Hier hat Kulturminister Sandro Bondi aus Sicht der Opernwelt eine Art Palmrüssler des Musiktheaters, das Dekret mit harten Einsparungen für die Opernhäuser entwerfen lassen. Heute – das Dekret ist längst in Kraft und muss vom Parlament nur noch abgesegnet werden – trifft Bondi Gewerkschaftsvertreter zur nachträglichen Diskussion. Loris Grossi,

Posaunist und Gewerkschaftsmann des römischen Opernorchesters, wird nicht dabei sein. Er sagt: „An der Oper haben wir lange unter Leuten gelitten, die aus politischen Gründen nominiert wurden und nicht, weil sie gute Manager sind.“ Das solle man bedenken, wenn man das römische Opernhaus mit einem Theater wie der Mailänder Scala vergleiche und sich fragt, warum die Hauptstadt-Oper in der allgemeinen Wahrnehmung eine jämmerliche Figur abgibt. „International unbedeutend“ urteilte unlängst die Zeitung La Stampa . Gerade übt ein Tubist, als sich Grossi – kariertes Hemd, Halbglatze, Schnauzbart – auf einem Stuhl im samtroten Atrium des Opernhauses niederlässt und zu erläutern beginnt, warum er und seine Kollegen „frustriert und verzweifelt“ seien. Grossi spielt seit 31 Jahren hier. Er weiß, dass dieses Haus eine seltsame Insel und ein Spielball der Mächtigen in der Stadt des politischen Palazzo ist. Es ist nicht leicht, ein paar zusammenhängende Sätze mit ihm auszutauschen, denn jeden Augenblick kommen Kollegen mit…