Das Aufziehmännchen vom Vesuv

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.1.2018. Ciro Immobile von Lazio Rom ist der treffsicherste Stürmer in der italienischen Serie A.

Soziale Netzwerke haben den Vor- oder Nachteil, dass man Fußballspielern heutzutage bis in die Ferien folgen kann. Ciro Immobile erholt sich gerade, will man seinem familiären Instagramprofil Glauben schenken, auf den Malediven im Indischen Ozean. In der Serie A ist am Wochenende die Hinrunde zu Ende gegangen, nun sind zwei Wochen Winterpause. Auf den Ferienbildern sieht man den Stürmer von Lazio Rom in Badehose auf sehr weißem Strand, angelehnt an seine Ehefrau Jessica im Bikini. Die Bilder sollen Ehe- und Fußballerglück vermitteln und es gibt auch keine begründeten Zweifel an dieser Darstellung der Realität. Am vergangenen Samstag erzielte der Stürmer vier Treffer beim Auswärtsspiel gegen den Aufsteiger SPAL Ferrara. 2:5 (2:4) setzte sich Lazio Rom durch. „Mir läuft es kalt den Rücken herunter“, sagte Immobile im Anschluss an seine sehenswerte Darbietung. Noch nie in seiner Profikarriere waren ihm vier Treffer in einem Spiel gelungen.

Ciro Immobile ist der Stürmer der Stunde in Italien. Lazio Rom ist auf den vierten Platz der Serie-A-Tabelle vorgerückt, der in dieser Saison erstmals wieder zur Teilnahme an der Champions League berechtigt. In 18 Partien erzielte Immobile 20 Treffer und führt damit die Torschützenliste an. Das ist keine Selbstverständlichkeit, denn noch vor zwei Monaten durchlebte der 27-Jähirge aus Torre Annunziata bei Neapel zusammen mit seinen Landsleuten einen kollektive Kollaps. Im Land des vierfachen Weltmeisters Italien war es bislang undenkbar, ein WM-Turnier zu verpassen. Aber nach den Playoffs gegen Schweden im November stand genau diese Diagnose fest. Einer der Antihelden auf dem Rasen des Giuseppe-Meazza-Stadions in Mailand trug den Namen Immobile. „Unbeweglich“ bedeutet der Name übersetzt, und der Stürmer wirkte tatsächlich wie erstarrt nach diesem Schock.

Es hat dann etwa acht Wochen gedauert, bis das Aufziehmännchen vom Vesuv wieder in alter Manier über den Platz flitzte. Nur zwei Treffer gelangen ihm im Anschluss an die WM-Playoffs bis zum Jahresende für Lazio Rom. Am Samstag gegen Ferrara wirkte es dann so, als müsste Immobile den Stillstand eines ganzen Landes kompensieren. Er traf mit rechts, mit links, mit dem Kopf und wieder mit rechts. Glücklich nahm Immobile den Ball mit nach Hause, um ihn seinen beiden Töchtern zu schenken. Die Gazzetta dello Sport schrieb vom „Super-Immobile“, wahlweise war auch von einem „Spektakel“ oder von „Ciro dem Großen“ die Rede (Corriere dello Sport). Es ist das Schöne am Fußball oder überhaupt am Sport, dass man den gefühlten Weltuntergang in Form einer harten Niederlage mit einer außerordentlichen Leistung schnell wieder vergessen machen kann. Die gerade in Italien oft unerbittliche Öffentlichkeit zeigt sich in diesen Fällen außerordentlich gnädig.

Immobile hat bewegte Jahre hinter sich. 2014 wechselte er als Torschützenkönig vom FC Turin zu Borussia Dortmund in die Bundesliga und hoffte dort, ganz groß heraus zu kommen. Stattdessen standen nach 24 Bundesligaeinsätzen gerade einmal drei Treffer und viel Frust, auch über die angeblich kaltherzigen deutschen Kollegen zu Buche. Immobile versuchte sich anschließend weitgehend erfolglos beim FC Sevilla und wieder beim FC Turin, bevor er im Sommer 2016 bei Lazio Rom anheuerte. Mit dem wagemutigen Angriffsfußball von Trainer Simone Inzaghi kam der Stürmer von Beginn an zurecht. Auf Immobiles unermüdliches Pressing stützt der Bruder der ehemaligen Stürmer-Legende vom AC Mailand Filippo Inzaghi auch die defensive Phase. Im ersten Jahr bei Lazio gelangen Immobile bereits 23 Treffer in der Serie A, in dieser Spielzeit kommen 20 weitere dazu. Während der Verein immer wieder durch rassistische und anstisemitische Ausfälle seiner Anhänger von sich Reden macht, liefert die Mannschaft mit einem vergleichsweise bescheidenen Budget seit Jahren außerordentliche sportliche Leistungen. In dieser Saison könnte sie mit der Teilnahme an der Champions League belohnt werden.

Der Regisseur hinter dieser Beständigkeit auf hohem Niveau ist der frühere Bundesligaprofi Igli Tare (Karlsruhe, Düsseldorf, Kaiserslautern), der nach seinem Karriereende in der Serie A 2008 in das Management von Lazio Rom wechselte. Tare arbeitete sich bis zum Sportdirektor nach oben, ist heute die rechte Hand von Clubpräsident Claudio Lotito und bestimmt die Transferpolitik des Hauptstadtclubs. Der Albaner verpflichtete 2011 den späteren Weltmeister Miroslav Klose, der vom Publikum rasch als „König von Rom“ verehrt wurde und in fünf Jahren 54 Treffer für Lazio in der Serie A erzielte. In vielen Fällen hat der Sportdirektor Schnäppchen auf dem Transfermarkt gemacht und unbekannte oder scheinbar gescheiterte Spieler groß heraus gebracht. Die beiden jüngsten Entdeckungen Tares sind der Spanier Luis Alberto sowie der 22-jährige Serbe Sergej Milinkovic-Savic, die beide im Spiel gegen SPAL Ferrara außerordentliche Leistungen zeigten. Sein spezielles Händchen für Stürmer hat der ehemalige Angreifer Tare hingegen mit Ciro Immobile bewiesen. Die Verpflichtung des derzeit besten italienischen Torschützen im Sommer 2016 könnte Tares Meisterstück gewesen sein.

FacebookTwitterGoogle+FlipboardPinterestLinkedIn