Numero Uno

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. Mai 2017 - Gianluigi Buffons Karriere bietet Stoff für mindestens drei Fußballer-Leben. Ein Kapitel fehlt dem Juve-Torwart noch: der Sieg in der Champions League.

Wer hat Angst vor diesem Mann? Gianluigi Buffon hat auf Stürmer eine einschüchternde Wirkung.

Wer hat Angst vor diesem Mann? Gianluigi Buffon hat auf Stürmer eine einschüchternde Wirkung.

Man weiß nicht, wie sehr Gianluigi Buffon bereits an seiner eigenen Legende strickt. Die Geschichte, die er am Wochenende zum Besten gab, klang jedenfalls gut. Vielleicht muss man sich den Torhüter von Juventus Turin vor dem Spiel gegen den FC Barcelona so vorstellen: in sich gekehrt, konzentriert. Buffon, 39 Jahre alt, hat die Augen geschlossen und schwört sich, er werde seine Fußball-Karriere in diesem Frühsommer beenden, wenn es Barcelona nicht gelingt, ein Tor gegen ihn zu erzielen. Bis vor kurzem galt das Stürmer-Trio um Lionel Messi, Neymar und Luis Suárez als die furchterregendste Triade im Fußball. Wer diesen Meistern der Ballistik widersteht, muss selbst Elemente des Übernatürlichen in sich tragen und hat demnach auf dieser Fußballwelt seine Pflicht getan. So könnte Buffons Innenleben in diesem Moment ausgesehen haben.

Gewiss ist, der FC Barcelona erzielte in beiden Viertelfinalspielen vor ein paar Wochen keinen einzigen Treffer gegen Juventus Turin. Dank dreier Tore im Hinspiel zogen die Italiener ins Halbfinale der Champions League ein, in dem sie an diesem Mittwoch auf den AS Monaco treffen. Buffon wird trotz seines stillen Schwurs weitermachen. Juventus-Präsident Andrea Agnelli habe ihm mit Erfolg gut zugeredet, erzählte der Keeper. „Super-Gigi“, wie der Sportler in ganz Italien genannt wird, gedenkt, seinen bis 2018 laufenden Vertrag bei Juventus zu erfüllen, und kann sich ganz auf seine verbleibende Mission konzentrieren. „Wenn wir noch eine Chance auf den Gewinn der Champions League haben wollen, müssen wir die nächste Hürde nehmen, und das wird ebenso schwer wie gegen Barcelona“, sagte der Kapitän vor dem Hinspiel in Monaco.

Wer im Halbfinale eines Wettbewerbs steht, der will ihn auch gewinnen. Aber man liegt nicht falsch, wenn der Gewinn der Champions League für Buffon einen noch höheren Stellenwert hat. Vielleicht ist dieses Ziel sogar der eigentliche Antrieb seiner nicht enden wollenden Karriere. Buffon, der 1995 im Alter von 17 Jahren für den AC Parma sein Debüt in der italienischen Serie A gab, reiht Rekord an Rekord, er kann in diesen Tagen mit Juventus Turin zum sechsten Mal in Folge italienischer Meister werden, das hat bisher keiner geschafft. Vor kurzem blieb er 974 Minuten ohne Gegentor; keinem anderen Torwart in der Serie A gelang das. Buffon hat mehr als 1000 Pflichtspiele absolviert; nur wenige Fußballspieler knackten diese Marke. Hält er bis zum übernächsten Sommer durch, wäre er der einzige Spieler, der sechs WM-Teilnahmen vorzuweisen hätte. All dies sind großartige sportliche Leistungen, sie wirken aber nahezu banal im Hinblick auf das große Ziel, das Buffon noch antreibt.

Der Torwart aus Carrara in der Toskana stand bereits zweimal mit Juventus Turin im Finale der Champions League, zuletzt im Mai 2015. Damals war sein Team chancenlos und verlor 1:3 gegen den FC Barcelona. Zwölf Jahre zuvor muss die Niederlage noch bitterer gewesen sein. Buffon, mit 25 Jahren damals der aufsteigende Stern am Torwarthimmel, parierte im Finale von Manchester sogar zwei Elfmeter gegen den AC Mailand, seine Kollegen verschossen allerdings drei. Man muss diese Niederlagen mit berücksichtigen, wenn Buffon mit Juventus Turin nun seinen dritten Finaleinzug erzwingen will in einer Karriere, die Stoff für mindestens drei Fußballer-Leben bietet. Die Anfänge beim AC Parma unter Nevio Scala, der Uefa-Pokalsieg 1999 als selbstbewusster Hallodri im Tor, der als Jungspund sein Abiturzeugnis fälschte, zuweilen Superman-Shirts unter dem Trikot trug und sich gegen das Gerücht, mit Neonazis zu sympathisieren, verteidigen musste.

Im Jahr 2001 wechselte Buffon für 53 Millionen Euro nach Turin, nie war ein Torwart teurer. Ihre heroische Phase erreichte Buffons Laufbahn mit der epischen Antithese des Zwangsabstiegs mit Juventus Turin in die zweite italienische Liga wegen des Manipulationsskandals „Calciopoli“ und dem gleichzeitigen Gewinn des Weltmeisterschaftstitels mit Italien im Sommer 2006. Dass Buffon 2003 an Depressionen litt, wusste damals kaum jemand, er verriet es Jahre später in seiner Autobiographie „Numero uno“. Auch diese Brüche in seiner Vita, darunter eine Schwäche für exzessive Sportwetten oder Patzer, die ihm viel Spott einbrachten, haben das Bild des heute offenbar in sich ruhenden Leitwolfs mitgeprägt. Es folgte im letzten Teil seiner Karriere der Gang durch die Wüste mit Juventus und der systematisch geplante Kraftakt, nicht nur in Italien, sondern auch in Europa wieder zur Spitze zurückzukehren. Wenn man sich Buffon heute ansieht, diesen einst so volatilen Charismatiker mit seiner vertrauenerweckenden, tiefen Stimme und seinem angegrauten Stoppelbart, dann steht da vor allem ein Sportler, dem Leben und Talent das Privileg gestattet haben, einen dritten Anlauf zum Gipfel nehmen zu dürfen. „Jetzt oder nie“, schrieb die Zeitung „Gazzetta dello Sport“ vor einigen Tagen.

Wie immer, wenn italienische Teams besonders erfolgreich sind, speist sich ihre Überlegenheit vor allem aus der Defensive. Buffon und die Abwehr von Juventus Turin um Leonardo Bonucci und Giorgio Chiellini haben im laufenden Wettbewerb erst zwei Gegentreffer hinnehmen müssen. In der K.-o.-Runde gelang weder dem FC Porto noch dem FC Barcelona ein Tor. Nun wollen die derzeit sehr treffsicheren Stürmer des AS Monaco, Radamel Falcao und der erst 18 Jahre alte Kylian Mbappé, ihr Glück versuchen. „Tore gegen Juve zu erzielen ist nicht einfach. Nicht nur die Verteidiger arbeiten nach hinten, das ist der Schlüssel“, sagte Falcao vor dem Spiel gegen die Turiner. Für Buffon liegt das Geheimnis dieser Abwehrstärke in „ermüdender Mannschaftsarbeit“, aber auch in der über die Jahre gewachsenen Empathie mit den Verteidiger-Kollegen. „Wir kennen uns seit langem, wir schätzen uns seit langem, und wir verarschen uns seit langem“, erzählte der Torwart. Letzteres sei eine Methode, um „sich gegenseitig am Leben zu halten“. Man kann das als Galgenhumor bezeichnen oder den Versuch, mit allen Mitteln endlich ans Ziel zu kommen.

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