Der Pakt von Bangui

Christ&Welt / Die Zeit, 28.1.2016 Hat Franziskus in der Zentralafrikanischen Republik im Vorbeigehen einen Krieg beendet?

Hat Papst Franziskus mit seinem Besuch in der Zentralafrikanischen Republik Frieden für das vom Bürgerkrieg verwüstete Land gebracht?
Diesem Mann, der da im farblosen Tweed-Jackett, mit weißem Hemd, offenem Kragen, grau meliertem Haar und dem drolligen Blick eines Erdkunde-Lehrers sitzt, würde man sein Leben eher nicht anvertrauen. Schon gar nicht in der Peripherie von Bangui, der Hauptstadt der außer Kontrolle geratenen Zentralafrikanischen Republik. Unbedarft ist Mauro Garofalo gewiss nicht, aber er wirkt ein bisschen zu freundlich für Krisensituationen. Erst der Handschlag, dann macht Garofalo einen Witz über Fußball.
Es war im vergangenen November, als der gelernte Kunsthistoriker mit einer Handvoll anderer Italiener in Bangui ein gewisses Risiko ging. Verabredet war die Gruppe aus Rom mit einem Rebellenführer der Anti-Balaka-Miliz, einem der Protagonisten des blutigen Bürgerkriegs, der das Land seit Jahren in einer Spirale von Armut und Gewalt gefangen hält. Das Treffen fand statt in einer Baracke am äußersten Stadtrand von Bangui. Schlechte Straßen, kaum Licht. Waffen? Garofalo hatte keine bei sich. „Ich habe mich auf die anderen verlassen“, sagt er. Zum Beispiel auf Luca Cintia, den Kapitän der Vatikangendarmerie und dessen im Nahkampf ausgebildete Kollegen.
Dann stand er da, der Unterhändler im Namen Gottes. Mitten in der Baracke. Zehn bis zwölf afrikanische Guerillas vor ihm, bis an die Zähne bewaffnet. In der Mitte der Chef der Bande, der Rebellenführer. Und im Angesicht des Schreckens sollte der eher schmächtige Römer mit seinem freundlichen Blick das Anliegen der Gäste vortragen. „Besonders angenehm war das nicht“, erzählt Garofalo. Eine genaue Berufsbezeichnung gibt es für ihn nicht, er ist Verantwortlicher der Auslandsabteilung der Laiengemeinschaft Sant‘ Egidio. Wobei Auslandsabteilung übertrieben klingt. Garofalos katholische Task-Force in Trastevere besteht aus fünf bis sieben Personen, je nach Bedarf.
Der 39-Jährige, der einst als Jüngling zu Sant’Egidio stieß, ergriff das Wort. Er sagte den ihm gegenüberstehenden Ungeheuern, dass man sehr zufrieden sei, wie sich die Sicherheitslage in Bangui zuletzt entwickelt hätte, ohne Übergriffe, Lynchmorde und Schießereien. Dass es so weitergehen könnte, ja müsste. Dass dem Land ein historischer Moment bevorstünde. Und dass der Papst nicht als jemand käme, der Partei für die eine oder die andere Seite ergreifen würde, sondern als Mann des Friedens. „Das haben die Guerillas verstanden, auch die härteren unter ihnen.“
Der Waffenstillstand, der damals verabredet wurde, hält bis heute. Mehr oder weniger. Beobachter vor Ort berichten, dass die Lage in Bangui so gut wie seit Jahren nicht mehr sei. Schießereien mit Toten sind inzwischen selten. Polizei und UN-Truppen haben die Situation einigermaßen im Griff. Garofalo, der seit Jahren für Sant’Egidio im Krisenmanagement aktiv ist, nahm an mehreren vertraulichen Treffen teil, auch mit der pro-muslimischen Séléka-Miliz, die 2012 gegen den amtierenden Präsidenten geputscht und die jüngste Gewaltwelle mit dem Bandenkrieg zwischen Séléka und christlicher Anti-Balaka ausgelöst hatte.
Die Frage ist, ob der Besuch des Papstes am 29. und 30. November in Bangui ein PR-Coup war oder ein echter Beitrag zum Frieden. Nach zwei Jahrzehnten voller Umstürze und Gewalt konnten im Dezember ein Verfassungsreferendum sowie Präsidentschaftswahlen abgehalten werden. Für den 7. Februar ist die Stichwahl der beiden erfolgreichsten Kandidaten angesetzt. Doch niemand würde sich wundern, wenn sie angesichts der weiterhin unsicheren Verhältnisse noch einmal aufgeschoben würde.
Der Risiken des Papst-Besuchs waren allen Beteiligten bewusst. Der französische Geheimdienst riet dem Vatikan wegen der Gefahr eines Attentats dringend ab, vergeblich. Franziskus hatte gesagt, er wolle nach seinen Besuchen in Kenia und Uganda notfalls per Fallschirm in die Republik Zentralafrika kommen, eines der ärmsten Länder der Welt. Dann eröffnete er in der Kathedrale von Bangui nicht nur vorzeitig das Heilige Jahr der Barmherzigkeit, sondern besuchte auch die Moschee im muslimischen Viertel „PK5“, bis dahin eine No-Go-Area für Christen. Zwei von ihnen waren dort noch am Tag vor dem Besuch ermordet worden.
Unabhängige Entwicklungshelfer berichten, dass heute, zwei Monate nach dem Papstbesuch, Dutzende Katholiken festlich gekleidet das muslimische Viertel besuchten, um dort die Heilige Messe zu feiern. Nicht etwa als Provokation, sondern als Zeichen der Versöhnung in einem Krieg, der die Etikette der Konfessionen trägt, aber vor allem dem Machthunger einiger Warlords geschuldet ist.
„Der Papst-Besuch war keine Wende, aber ein positiver Aspekt bei der langsamen Verbesserung der Lage“, sagt Tim Glawion, der für das German Institute of Global and Area Studies die Situation vor Ort beobachtet. Die Visite habe den Blick der Öffentlichkeit auf das bis dahin weitgehend vergessene Land gelenkt, die Krise sei aber längst nicht gelöst. „Der Besuch von Franziskus hat dazu beigetragen, die sehr angespannte Situation nach den Unruhen im September zu beruhigen“, berichtet Thierry Vircoulon von der International Crisis Group, einer Nicht-Regierungsorganisation, die Lösungsansätze für bewaffnete Konflikte sucht. Die Tatsache, dass der Papst das Muslim-Viertel „PK5“ besucht habe, sei ein starkes Symbol gewesen.
Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch beurteilt die Reise positiv. Der Besuch von Franziskus habe durchaus Wirkung gehabt, sagt Lewis Mudge, der die Wahlen im Land beobachtet, in dem weiterhin Menschenrechtsverletzungen, Selbstjustiz und Korruption an der Tagesordnung sind. Der Aktivist sagt aber auch: „36 Stunden Papst-Besuch reichen nicht aus, um einen jahrelangen Konflikt zu beenden.“ Vor allem im Osten des Landes verbreiten die Milizen nach wie vor Terror. Von den 4,5 Millionen Bewohnern des Landes sind immer noch eine knappe Million Vertriebene.
Mit der Einschätzung, welche Rolle die römische Laiengemeinschaft Sant‘ Egidio bei der Konfliktlösung in der Zentralafrikanischen Republik spielt, tun sich die internationalen Beobachter schwerer. „Wir von Human Rights Watch arbeiten im Licht der Öffentlichkeit, Sant‘ Egidio eher im Stillen“, sagt Mudge. Man weiß wenig über die Initiativen der Italiener. Eindeutig ist, dass sie, seit Franziskus amtiert, einen besonders guten Draht in den Vatikan haben. Die katholische Gemeinschaft, 1968 aus der Studentenbewegung hervorgegangen und vom damaligen Gymnasiasten Andrea Riccardi gegründet, begann ihre Arbeit in römischen Barackenvierteln. Der frühere Erzbischof Jorge Bergoglio half in den Slums von Buenos Aires. Das verbindet.
Inzwischen hat die Laiengemeinschaft mit Sitz in einem ehemaligen Karmeliter-Kloster in Rom-Trastevere mehr als 75 000 Mitglieder in 74 Nationen. Allein in Afrika ist sie in 32 Ländern präsent, seit 2003 auch in der Zentralafrikanischen Republik. „Als der Sturm in Bangui losging, waren wir schon längst da“, sagt Garofalo. Er sieht die Organisation nicht als europäischen Player, der sich von außen einmischt, sondern als teilweise afrikanische Realität mit über den Kontinent verteilten Zweigstellen. Einige der Rebellen hätten sich explizit Sant’Egidio als Vermittler gewünscht, berichtet Garofalo. Andere wie Jean-Jacques Demafouth, der umstrittene Sicherheitsberater des Staatspräsidenten in Bangui, lassen kein gutes Haar an den Römern. Sant’Egidio sei immer gescheitert in der Zentralafrikanischen Republik. „Zwischen einem Treffen in Rom und der Wirklichkeit in unserem Land gibt es große Unterschiede.“
International bekannt wurde Sant’Egidio im Jahr 1992, als es der Gemeinschaft gelang, nach über zwei Jahre dauernden Verhandlungen einen Friedensvertrag zwischen den Bürgerkriegsparteien in Mosambik einzufädeln. Der Pakt wurde im ehemaligen Karmeliter-Kloster in Trastevere unterzeichnet. Eine Gedenktafel im „Saal des Friedens“ erinnert noch heute an den Vertragsschluss. „Während sich andere von selbst einmischen, werden wir meist gerufen“, sagt Garofalo. Im Fall der Zentralafrikanischen Republik meldete sich ein Exil-Politikers aus Paris und bat um Hilfe. In etwa 20 Konflikten weltweit spielten die römischen Unterhändler bislang eine Rolle. So auch zuletzt beim Friedensabkommen zwischen der kolumbianischen Regierung und den FARC-Rebellen. Auch hier schaltete sich Franziskus über Sant’Egidio als Vermittler ein. Derzeit sind die Laien auch in Libyen, Syrien, Libanon und Senegal aktiv. Weitere Verhandlungen verlaufen in absoluter Diskretion.
„Die Arbeit für den Frieden ist eine Konsequenz aus dem Dienst an den Armen.“ Diesen Satz sagt Mauro Garofalo im ehemaligen Kloster an der Piazza Sant’Egidio. Die Worte könnten auch von Papst Franziskus stammen. Ohne die Vorarbeit der Laienorganisation zusammen mit der Vatikangendarmerie wäre der Besuch des Papstes in Bangui wohl nicht zustande gekommen. Etwa 15 Delegationen aus der Zentralafrikanischen Republik hätten sich in den vergangenen Jahren in Trastevere getroffen, berichtet Garofalo, neun davon alleine in den letzten 18 Monaten. Dieser Aktivismus ist den internationalen Beobachtern nicht bekannt. Die Organisation sei „kein entscheidender Faktor“ im Friedensprozess, behauptet ein Beobachter vor Ort. An Sant’Egidio scheiden sich die Geister.
Das dürfte auch auf eine Schlüsselszene der Verhandlungen zwischen den Milizen zutreffen, die dieser Tage in Rom kolportiert wird. Sie klingt wie aus einem Märchen mit auffällig gutem Ende: Am 30. November, dem letzten Tag der Afrikareise feierte Franziskus im Fußballstadion von Bangui mit tausenden Jugendlichen die Heilige Messe. Als der Papst unter einem Baldachin die Eucharistie zelebrierte, soll es im zur Sakristei umfunktionierten Innenraum des Stadions zu einer denkwürdigen Begegnung gekommen sein. Dort, so heißt es, hätten sich die Rebellenführer Abdoulaye Hissen der muslimischen Milizen und Maksim Mokom für die christliche Anti-Balaka getroffen. Die finsteren Gestalten aus den Vorstadt-Baracken.
Unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen fanden sich die Guerilla-Führer in der Stadion-Sakristei ein. Dann übergaben sie dem Substituten des vatikanischen Staatssekretärs, Angelo Becciu, ein von beiden unterschriebenes Dokument. Darin bekräftigten die Kriegsparteien ihren Tage zuvor besiegelten Waffenstillstand und legten das Dokument in die Hände eines der engsten Mitarbeiter des Papstes. Der Frieden in Bangui, er ist brüchig und empfindlich, hält seitdem. „Ein halbes Wunder ist das“, sagt Mauro Garofalo.

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