Kleine Zeitung, 30. Juli 2016 Papst Franziskus besucht das Konzentrationslager Auschwitz. Er feiert keine Messe, hält keine Predigt oder Rede, sondern schweigt.

"Arbeit macht frei" - Das Tor zum KZ Auschwitz

"Arbeit macht frei" - Das Tor zum KZ Auschwitz

Er sitzt einfach da. Ganz in Weiß, auf einem unscheinbaren Stuhl, mitten an diesem Ort des Grauens. Sein Kopf ist geneigt, die Augen hat der Papst geschlossen. Ab und zu bewegen sich die Blätter der Schwarzbirken im Wind. Franziskus sitzt gegenüber einer der Häftlingsbaracken, vor der ein eisernes Gerüst steht, an dem die Nazis Gefangene aufhängten. 13 Minuten lang, so notieren Mitreisende akribisch, passiert nichts. Der Papst sitzt einfach da. Als dritter Papst überhaupt hat Franziskus am Freitag das KZ Auschwitz besucht, in dem die Nazis bis 1945 mehr als eine Million Menschen töteten, vor allem Juden. Das KZ liegt etwa 70 Kilometer von der polnischen Stadt Krakau entfernt. Dort findet noch bis Sonntag der Weltjugendtag statt, der Papst ist zu diesem Anlass aus Rom angereist. Dass er bei dieser Gelegenheit auch Auschwitz als Ort des Bösen schlechthin besuchen wollte, hatte Franziskus angekündigt. Und, dass er schweigen werde. „Keine Reden, keine Leute, nur die wenigen Notwendigen“, hatte Franziskus auf seiner Rückreise aus Armenien Ende Juni gesagt.

Und, dass Gott ihm die Gnade geben möge, zu weinen. Tränen übertragen die Fernsehkameras des Vatikans an diesem Vormittag zwar nicht. Aber die live in alle Welt übertragene Stille ist eindrucksvoll. Johannes Paul II. hatte Auschwitz als erster Papst im Jahr 1979 besucht, Benedikt XVI. kam 2006. Die Besuche der beiden Vorgänger waren symbolträchtig, auch weil hier erst ein Pole und später ein Deutscher als Vertreter im Weltkrieg verfeindeter Nationen an den Holocaust erinnerten. Benedikt wurde kritisiert, weil er die Deutschen bei seinem Besuch als von den Nazischergen verführte Opfer darstellte und die Frage der Schuld überging. Auch sagte er kein Wort zum katholischen Antisemitismus. Aber der deutsche Papst formulierte damals auch: „An diesem Ort versagen die Worte, kann eigentlich nur erschüttertes Schweigen stehen – Schweigen, das ein inwendiges Schreien zu Gott ist: Warum hast du geschwiegen?“ Franziskus setzt diesen Gedanken in Auschwitz in die Tat um. Er hält keine Ansprache, feiert keinen Gottesdienst,…

ZEIT Online, 17.4.2016 Wiens Erzbischof Christoph Schönborn ist der Kardinal der Stunde in der katholischen Kirche. Tritt er das Erbe von Franziskus an?

Die Gabe der katholischen Kirche zur großen Inszenierung blitzt sogar bei Pressekonferenzen im Vatikan auf. Der Lichtkegel im Saal fällt auf das überdimensionale päpstliche Wappen mit Krone und Schlüsseln. Die mausgraue Wand im Hintergrund wirkt plötzlich samten und erhaben. Dann steht Christoph Schönborn da, groß und nicht zu übersehen, Kardinal, Erzbischof von Wien und der Mann der Stunde im Vatikan. Es ist kein Zufall, dass hier alles auf ihn zuläuft, dass er in der Mitte zu sitzen kommt, das Wappen des Papstes genau über seinem Haupt. Die Weltpresse ist zur Vorstellung des päpstlichen Schreibens Amoris Laetitia versammelt. Der Pressesprecher seiner Heiligkeit ist auf die Bühne getreten, hinter ihm der Generalsekretär der Bischofssynode, dann noch ein Bischof mit fahlem Gesicht und zwei brave Eheleute. Als Letzter hat der Kardinal die Bühne betreten, im vollen Ornat. Alle Augen richten sich auf ihn. "Buongiorno", sagt er leise und nickt den ungeduldigen Gesichtern im Plenum zu. Wie die Orgelpfeifen sammeln sich die Herrschaften links und rechts um Schönborn, den mild lächelnden Erzbischof von Wien. Eigentlich hat er gar kein offizielles Mandat, um das bahnbrechende

Dokument von Papst Franziskus zu Ehe, Familie und Sexualität vorzustellen. Aber die Leute im Presseamt haben gewusst, dass sie keinen geeigneteren Mann für diesen Anlass finden konnten. Der Österreicher steht im Zentrum, er ist der Kern dieser Veranstaltung, unübersehbar selbst dann, als er sitzt. Die Kette seines Brustkreuzes wird die Journalisten zwei Stunden lang anglitzern. Und seit Franziskus am Abend des 13. März 2013 vom Konklave zum Papst gewählt wurde, erscheint auch Schönborn vielen in einem ganz neuen Licht. Nach seinem Vortrag werden die Spindoktoren von Franziskus im Plenum Beifall klatschen, aber auch eigentlich zur Nüchternheit verpflichtete Agenturjournalisten. Herkunft aus zerrütteten Verhältnissen "Bellissimo", wunderschön, sei dieser Text, sagt der Kardinal mehrmals über Amoris Laetitia, und man glaubt ihm diese Begeisterung aufs Wort. Hat der Papst die Lehre der Kirche im Hinblick auf Ehe und Sexualität verändert? "Das sehe ich nicht", sagt Schönborn. "Aber gewiss gibt…

ZEIT Online, 8.4.2016 Papst Franziskus schlägt beim Thema Sex ein neues Kapitel für die katholische Kirche auf. Dem konservativen Flügel ist sein Schreiben Amoris Laetitia ein Dorn im Auge.

Drei Jahre lang hat es gedauert, bis der Papst sein Machtwort zum Thema Ehe und Sexualität vorgelegt hat. Das nachsynodale Schreiben Amoris Laetitia – Über die Liebe in der Familie ist ein lehramtlicher, 300 Seiten langer Text, der vordergründig wenig konkret ist und in dieser Beliebigkeit Enttäuschungen hervorrufen wird. Keine Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion, die aber auch nicht ausgeschlossen wird. Die Frage, die die Grundfesten der katholischen Morallehre trifft, war unter den Bischöfen auf den beiden Synoden der vergangenen Jahre die umstrittenste. Schon gar nicht skizziert der Papst eine Willkommenskultur für Homosexuelle in der Kirche, sondern wiederholt nur bequem das, was der Katechismus zum Thema Homosexualität zu sagen hat. Doch Amoris Laetitia hat es in sich – und das nicht nur wegen der Absätze zu Sexualerziehung, zu "sicherem Sex" oder zu den fast schon erfrischenden Passagen zur Erotik in der Ehe. Es gibt Priester in Rom, die behaupten, sich erstmals nicht mehr zu schämen, wenn der Chef auf dem Stuhl Petri beim Thema Sexualität in die Details geht. Hat sich die katholische Kirche unter Franziskus entkrampft? Nein, aber der Papst

schlägt beim Thema Sex ein neues Kapitel auf. Das Schreiben ist der vorläufige Schlusspunkt eines drei Jahre dauernden Prozesses, in dem sich die katholische Kirche mit Franziskus mühsam auf die Menschen zuzubewegen versucht. Zuerst machte der Papst die Kluft zwischen Lehre und Wirklichkeit mit einer Umfrage unter den Gläubigen in der ganzen Welt sichtbar. Anschließend ließ Franziskus die Bischöfe auf zwei Synoden zum Thema diskutieren, dann forderten die überforderten Hirten ein definitives Wort vom Papst, das dieser nie liefern wollte. Vielfalt statt Einheit Auch im nachsynodalen Schreiben legt sich Franziskus nicht fest. Stattdessen öffnet er seiner Kirche bisher nicht dagewesene Räume. Wenn der Papst feststellt, dass nicht jede Diskussion über die Doktrin einer lehramtlichen Klärung bedarf, bedeutet das eine nur schwer wieder rückgängig zu machende Wende in der Haltung Roms. Galt dem Vatikan bislang die Einheit von Lehre und Seelsorge als höchstes Gut, so hat Franziskus nun…

Augsburger Allgemeine, 8.3.2016 Nach drei Jahren im Amt macht sich Papst Franziskus beim Thema Missbrauch angreifbar.

Am kommenden Sonntag ist Papst Franziskus drei Jahre im Amt. Jorge Bergoglio, der dieses Jahr 80 Jahre alt wird, hat mit seinem undiplomatischen Stil für Begeisterung ebenso wie für Kopfschütteln gesorgt. Franziskus hat sich in die Weltpolitik eingemischt, Umweltschutz ganz offiziell zum Teil des katholischen Lehramts erhoben und die zentrale Botschaft seines Pontifikats überdeutlich gemacht. Die Kirche soll weniger verurteilen, sondern vor allem die Wunden der Menschheit heilen.   Eine der größten Wunden der Gesellschaft ist bis heute der Missbrauch von Minderjährigen. Nach zahlreichen Skandalen in den vergangenen Jahren war die Kirche selbst gezwungen, sich des Themas intensiv anzunehmen. Einem Papst, der die Kirche als Feldlazarett sieht, müsste die kompromisslose Haltung beim Thema Kindesmissbrauch ganz besonders am Herzen liegen. Und tatsächlich verurteilt Franziskus die Täter wortmächtig und forderte vertuschende Bischöfe zum Rücktritt auf. Mehrmals hat der Papst Missbrauchs-Betroffene getroffen und ihnen versichert, ihre Sorgen ernst zu nehmen. Gegen inneren Widerstand im Vatikan setzte Franziskus zudem eine Kinderschutz-Kommission ein, die Praktiken zur Verhinderung von sexuellem Missbrauch durch den Klerus entwickelt. Auf dem Papier

ist Franziskus' Bilanz überzeugend. Es wirkt so, als gehe die Kirche den nächsten Schritt.   Doch wie ernst ist es dem Papst, endgültig die Haltung des innerkirchlichen Schweigegebotes für eine nachhaltige und kompromisslose Aufklärung hinzugeben? Zuletzt kamen mehrfach Zweifel im Hinblick auf seine Personalpolitik auf. Da wirkt es so, als hätten die alten Kader das Heft weiterhin in der Hand. Sichtbar wurde das vergangene Woche bei der Aussage des 74 Jahre alten Kardinals George Pell vor einer australischen Untersuchungskommission. Franziskus hatte Pell in den Kardinalsrat seiner engsten Berater berufen und zum Präfekten des bedeutenden Wirtschaftssekretariats ernannt. Jetzt gab der Australier zu, als einflussreicher Priester und Weihbischof in den 70er und 80er Jahren in seiner Heimat nicht gegen notorische Missbrauchstäter aus dem Klerus vorgegangen zu sein und kein Interesse an Aufklärung gehabt zu haben.   Für Betroffene wirkt die Laufbahn Pells wie blanker Hohn. Denn sie zeigt, dass Wegschauen und Vertuschung…