Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. Juli 2016 Wie Italien mit taktischen Mitteln seine Gegner zu überlisten versucht.

Italiens Nationaltrainer Antonio Conte.

Italiens Nationaltrainer Antonio Conte.

Antonio Conte ist ein religiöser Mensch. Vor den Spielen seiner Mannschaft befolgt der italienische Nationaltrainer feste Rituale, er telefoniert mit seiner Familie im süditalienischen Lecce und betet. Während der Fastenzeit verzichtet der Katholik auf Kaffee, Süßigkeiten und Alkohol. Als Trainer von Juventus Turin hat er schon Heiligenbildchen geküsst und wie einst Giovanni Trapattoni Weihwasser verspritzt, am Handgelenk trägt er einen Rosenkranz aus dem Wallfahrtsort Medjugorje. Auf höhere Mächte will sich der 46 Jahre alte Trainer dennoch nicht ganz verlassen. Conte hat die strategische Tradition seiner Vorgänger perfektioniert. Die deutsche Nationalmannschaft wurde in der Vergangenheit schon mehrmals Opfer der taktischen Finessen der Italiener. Als Meisterwerk gilt in Italien der Schachzug im WM-Halbfinale von 2006, als Spielmacher Francesco Totti gegen sein Naturell angewiesen wurde, auf die Flügel auszuweichen und seinen Bewacher Sebastian Kehl mit sich zu ziehen. Totti nahm sich so de facto selbst aus der Partie, in der Spielmitte taten sich dadurch aber Räume auf. Die Italiener nutzten sie, gewannen 2:0 und wurden anschließend Weltmeister. Einen ähnlichen Spielzug zeigte Italien auch bei dieser

EM, er könnte die bevorzugte Waffe im Viertelfinale gegen Deutschland sein. Zwar hat Italien derzeit keinen überragenden Aufbauspieler. Conte hat deshalb seinen Stürmer Graziano Pellè als primäre Anspielstation in der Spitze bestimmt. Um Pellè direkt zu bedienen räumen die italienischen Mittelfeldspieler regelmäßig das Zentrum des Feldes frei, indem sie sich bei Ballbesitz weit vorne und oft am Rand der Außenlinie positionieren. Die gegnerische Verteidigung wird so zu Lücken gezwungen. Pellè kommt dem langen Ball aus der eigenen Abwehr entgegen, die Ballannahme ist seine Spezialität. Planmäßig legt er den Ball direkt auf seinen Sturmpartner Éder oder einen nachrückenden Spieler wie Emanuele Giaccherini ab, die in die Lücken stoßen. Éder hatte im Achtelfinale gegen Spanien auf diese Weise mehrmals freien Weg zum Tor. Diesen vertikalen Automatismus hat Conte trainiert. Italien pflegt den koordinierten Spielaufbau aus der Abwehr. Dabei ist auch Torwart Gigi Buffon entgegen anderslautender Vorurteile stark an der Zirkulation beteiligt. Weil…

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9.5.2016 Der ehemalige Bayern-Stürmer Luca Toni, Liebling aller Schwiegermütter, beendet seine Karriere.

Glanzvoll ist dieses Karriereende wahrlich nicht. Hellas Verona steht als Absteiger der Serie A fest, Luca Toni war während seiner letzten Saison als Fußballer oft verletzt und erzielte gerade mal eine Handvoll Treffer. Sein Trainer Luigi Delneri vertraute ihm zuletzt auch nicht mehr richtig. „Ciao Bello!“, rief ihm eine süddeutsche Boulevardzeitung nach, als der italienische Stürmerstar im Jahr 2009 vom FC Bayern nach Italien zurückkehrte. Jetzt ist der Abschied endgültig. Luca Toni hat entschieden, dass nach dem Heimspiel mit Hellas Verona am gestrigen Sonntag gegen Serienmeister Juventus Turin Schluss ist. Man muss sich mit 38 Jahren nicht mehr alles antun, denkt sich der Weltmeister von 2006. Auch das Match am letzten Spieltag in Palermo will sich Toni sparen. Und er hat recht: Wie sehr mühen und mühten sich die anderen, alternden Stürmerhelden von Berlin mit dem Absprung zu rechten Zeit. Alessandro Del Piero wurde als Galionsfigur bei Juventus Turin vor die Türe gesetzt und der ewige Römer Francesco Totti hat sich selbst an den Rand der ultimativen Demütigung gebracht. Er würde sogar gratis

für seinen AS Rom antreten, flehte er bis vor kurzem. Irgendein römischer Fußballgott bemerkte, dass in Totti doch noch magische Kräfte schlummern und lässt ihn nun serienweise entscheidende Tore erzielen, die wohl in einen letzten Jahresvertrag münden werden. Im Gegensatz zu den Vereinsikonen aus dem italienischen WM-Team von 2006 war Toni der Tor-Vagabund, ein hochaufgeschossener Fußball-Söldner, ein manchmal schwerfällig wirkender, oft sehr effizienter Turm an der Schwelle zum modernen Geschwindigkeits-Fußball. Hübsch anzusehen sei sein Spiel bekanntlich nicht, sagte der schöne Toni über sich selbst. Die Münchner, die in ihm alle Stereotypen ihrer Italiensehnsucht wiederzuerkennen meinten, können Toni noch einmal im Juli erleben. Da soll der Prozess wegen 1,7 Millionen Euro angeblich hinterzogener Kirchensteuer während seiner Zeit beim FC Bayern beginnen. Ausgerechnet der katholische Luca, Traum aller italienischen Schwiegermütter! Toni war immer beliebt, aber als Fußballer nirgends zu Hause. Bei sechzehn Profivereinen stand der Stürmer unter Vertrag, er…

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.2.2016 Paulo Dybala gilt bei Bayerns Gegner Juventus Turin als neuer Wunderheiler. Hinter dem Erfolg des Bubengesichts steckt eine traurige Geschichte.

Zu Beginn der Saison galt Paulo Dybala als ein Problem bei Juventus Turin. Der viermalige Serienmeister steckte eine Niederlage nach der anderen ein. Die alte Garde um Torwart Gianluigi Buffon lag mit der angeblich gedankenlosen Jugend in den eigenen Reihen im Clinch, darunter auch der 22 Jahre alte Dybala. Trainer Massimiliano Allegri wurde kritisiert, wenn er den fahrigen Argentinier einsetzte - und wenn dieser auf der Bank saß, war es auch nicht recht. Jetzt, ein paar Monate später, prasseln die Lobeshymnen auf den argentinischen Nationalspieler ein. Er sei ein „Weltphänomen“ schrieb die „Gazzetta dello Sport“ zuletzt, das „starke Symbol eines neuen Zyklus“. Die hinkenden Vergleiche sind Legion: Dybala sei der neue Roberto Baggio, hieß es, er habe die von Carlos Tévez bei Juventus Turin hinterlassene Lücke gestopft, sagen andere. Was ist nur im sonst so nüchternen Turin passiert? Abgesehen davon, dass der italienische Fußballbetrieb bekanntlich einen Hang zur Emphase hat, ist die Diagnose unkompliziert: Der italienische Rekordmeister hat vor dem Achtelfinal-Hinspiel in der Champions League am Dienstag

gegen den FC Bayern eine beeindruckende Siegesserie in der Serie A hingelegt. Nach 15 gewonnenen Spielen in Serie und der Eroberung der Tabellenspitze ging erst das letzte Match am Freitag gegen den FC Bologna wieder unentschieden aus (0:0). In den vergangenen neun Partien musste die Abwehr, das Prunkstück der Italiener, nur ein einziges Gegentor hinnehmen. Und der erfolgreichste Torschütze, der Jüngling, der zu Saisonbeginn als überteuerter Fehleinkauf abgestempelt worden war, hat die meisten Treffer im Team erzielt. In 25 Serie-A-Partien gelangen Paulo Dybala 13 Tore. Er ist damit Turins neuer Wunderheiler. Es ist eine beinahe groteske Situation. Der frühere Unsicherheitsfaktor Nummer eins stellt plötzlich die größte Gewissheit bei Juventus Turin dar. Gewiss, die Mannschaft von Trainer Allegri strotzt vor Selbstbewusstsein und ist sich ihrer Chancen angesichts der Verletzungsmisere beim FC Bayern bewusst. Aber sollte man den entscheidenden Faktor für die Wiederbelebung der Mannschaft nach den Schwierigkeiten zu Saisonbeginn benennen, dann führt kein Weg an Paulo Dybala…

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.1.2016 Sami Khedira tut Juventus gut. Er ist zwar nicht immer fit, aber meist an der richtigen Stelle.

ROM. Es gibt ein jüngeres Foto von Sami Khedira, auf dem sieht der Fußballer nun wirklich nicht wie ein Fußballer aus. Khedira trägt eine modische Strickjacke, die man heutzutage als Cardigan bezeichnet, er sitzt an einem polierten Holztisch, vor ihm ein Laptop-Computer. In der linken Hand hält der 28-Jährige ein Notizbuch, in das er konzentriert blickt, rechts einen Stift, mit dem er sich Notizen macht. Khedira sieht auf diesem Bild eher aus wie Joachim Löw oder Pep Guardiola. Also wie einer, der über Fußball nachdenkt, und nicht wie jemand, der mit dem Fuß gegen den Ball tritt. Ein Fußball-Hirn, kein Fußball-Spieler. Khedira hat dieses Bild selbst veröffentlicht, man macht das ja heutzutage so in den sozialen Netzwerken. "Spiele vorzubereiten bedeutet mehr, als hart im Mannschaftstraining zu arbeiten. Es bedeutet, Statistiken lesen, Taktik zu analysieren und so weiter", erklärt der Mittelfeldspieler seine konzentrierte Pose. Ein unbekannter "Follower" prognostizierte dem Studiosus eine glänzende Zukunft als Trainer, dabei hat der Fußballprofi natürlich immer noch einiges als Akteur vor. Weltmeister Khedira will im Juli mit

der deutschen Nationalmannschaft Europameister werden und mit seinem Verein Juventus Turin wieder ganz nach vorne kommen. Im Februar steht das Achtelfinale in der Champions League gegen den FC Bayern an, die Aufholjagd der Turiner in der Serie A ist beinahe abgeschlossen. Vor dem Auswärtsspiel an diesem Sonntag gegen Udinese Calcio trennen den italienischen Rekordmeister nur noch zwei Punkte vom Tabellenführer SSC Neapel. Khedira, das Fußball-Hirn. Das Foto ist eine passende Synthese für die Bedeutung des Schwaben bei Juventus Turin. Vergangenes Wochenende erzielte Khedira sogar einen Treffer beim 2:1-Auswärtssieg bei Sampdoria Genua, es war Juves neunter Sieg in Folge und Khediras zweiter Treffer im Juve-Trikot. Vom Mittelfeldspieler mit Talent zum "Bomber" schrieben die italienischen Zeitungen. Als "beeindruckend und mächtig" wertete der "Corriere dello Sport" das Spiel des Deutschen. Doch die Lobeshymnen täuschen über die Schwierigkeiten hinweg, mit denen Khedira bislang in Italien konfrontiert war. Mehrere Verletzungen warfen den Spieler immer…