Eine Hochzeit des Kalküls

15.Juli 2018 - Weniger Emotionen haben Cristiano Ronaldos Wechsel zu Juventus Turin gefördert, sondern geschäftliche Berechnungen.

Es war der 3. April im Allianz Stadium von Turin. Juventus Turin spielte im Viertelfinale der Champions League gegen Real Madrid. Beim Stand von 0:1 flog eine Flanke durch den Strafraum. Cristiano Ronaldo setzte zum Fallrückzieher an und wuchtete den Ball spektakulär an Torwart Gigi Buffon vorbei ins Netz. Die Stimmen der spanischen TV-Kommentatoren auf der Pressetribüne überschlugen sich, die Juve-Spieler verharrten ungläubig auf dem Rasen. Und von den Rängen brandete respektvoller Applaus auf, diesem Tor zollten sogar die italienischen Tifosi Respekt. Drei Monate später, wo Cristiano Ronaldo nun für rund 100 Millionen Euro von Real Madrid zu Juventus Turin wechselt, muss die Szene von damals zur Legendenbildung herhalten. Wie es heißt, habe der Applaus der Turiner auch das Herz von Ronaldo nicht ganz kalt gelassen. „Dschuve“, wie der 33 Jahre alte Portugiese den italienischen Rekordmeister nennt, sei sein Traumziel gewesen. Zumal der Wunderstürmer schon als Hänfling auf seiner Heimatinsel Madeira eine Schwäche für die Italiener gehabt haben soll.

Man kann die blumige Geschichte glauben. Vieles deutet jedoch darauf hin, dass Ronaldos Wechsel zu Juventus Turin viel eher ein kühles, kapitalorientiertes Vernunftprodukt ist. Ronaldos Fisimatenten in Madrid waren allgemein bekannt. Der Spieler, der in 438 Spielen für Real 451 Tore erzielte und maßgeblich dazu beitrug, dass das Team viermal innerhalb der vergangenen fünf Jahre die Champions League gewann, konnte nicht genug bekommen. Zuletzt 23 Millionen Euro Netto-Jahresgehalt genügten ihm nicht, angeblich weil Leo Messi beim FC Barcelona und Neymar bei Paris Saint-Germain fast das Doppelte verdienten. Ronaldo, der als 20-Jähriger seinen alkoholabhängigen Vater verlor, bemisst seinen Selbstwert nicht zuletzt mit Geld. Juventus Turin bot 31 Millionen Euro Nettojahresgehalt und stach damit die Konkurrenz aus. Italienischen Medien zufolge wäre Ronaldo lieber zurück in die Premier League gegangen. Das hört man aber in der gegenwärtigen Turiner „Ronaldo-Manie“ (Gazzetta dello Sport) nicht so gerne.

Probleme mit der Justiz

Als Fußnoten werden in Italien auch die Probleme des Fußballers mit der spanischen Justiz behandelt. Ronaldo hat dem Fiskus zufolge knapp 15 Millionen Steuern an Werbeeinnahmen hinterzogen, ihm drohte zwischendurch eine Haftstrafe in Spanien. Jetzt sollen sich seine Anwälte mit der Staatsanwaltschaft auf einen Deal und die Zahlung von 18,8 Millionen Euro Geldstrafe geeinigt haben. Spanien war auch aus diesem Grund kein besonders bequemes Zuhause mehr für den Superstar. Einen Wechsel in die Serie A begünstigte außerdem ein Passus im jüngsten italienischen Haushaltsgesetz von 2017. Wer seinen Wohnort nach Italien verlegt kann seine im Ausland erzielten Erlöse mit einer Steuerpauschale von gerade einmal 100 000 Euro begleichen, für Ronaldo beinahe Peanuts. Er verdient alleine mit Werbeeinnahmen rund 40 Millionen Euro im Jahr. Sein Sparschwein wird in Italien deutlich stärker gemästet als anderswo. Auch die sportliche Perspektive spielte eine Rolle.

Juventus Turin spielt seit einigen Jahren regelmäßig um den Gewinn der Champions League mit, 2015 und 2017 unterlag die Mannschaft von Trainer Massimiliano Allegri im Finale, zuletzt gegen Ronaldo und Real Madrid. Für Ronaldo birgt der Wechsel also die Chance, weiterhin im Zentrum der Aufmerksamkeit zu bleiben. Umgekehrt sehnt man sich beim italienischen Rekordmeister so sehr nach dem Triumph in der Champions League, dass beinahe alle Mittel zum Erreichen dieses Ziels als legitim erscheinen. Der letzte Titel in diesem Wettbewerb liegt 22 Jahre zurück. Der mögliche achte Meistertitel in Folge lässt die Juventus-Tifosi weitgehend kalt. Eine der wenigen kritischen Stimmen, die sich gegen den Transfer erhob, war die der Fiat-Gewerkschaft USB im süditalienischen Werk Melfi, die für Montag, den Tag der Ronaldo-Vorstellung in Turin, einen Streik ankündigte. Es sei „inakzeptabel, dass den Arbeitern von der Firma seit Jahren wirtschaftliche Opfer abverlangt werden und dieselbe Firma Hunderte von Millionen Euro für den Kauf eines Fußballers ausgibt“, hieß es in einer Mitteilung der Gewerkschaft.

Der Markt macht die Regeln, aber wollen wir das?

Auf mehr als 350 Millionen Euro wird der gesamte Umfang des Transfers samt Berater-Prämien, Gehalt und Steuern beziffert, den Juventus und die Eigentümer-Holding Exor aufbringen müssen. Die Holding, die von der Turiner Industriellenfamilie Agnelli geführt wird, ist auch Mehrheitseigner von Fiat-Chrysler, deshalb der Protest der Fiat-Arbeiter. Allerdings schlossen sich die meisten anderen Gewerkschaften dem Protest nicht an, wohl auch deshalb, weil alle Beteiligten mit Ronaldo als Wirtschaftsfaktor kalkulieren und zwar weit über den Piemont hinaus. Das Turiner Gastgewerbe frohlockt bereits und rechnet mit einem Besucherzuwachs von bis zu zehn Prozent. Juventus rechnet mit großem Plus bei Ticketverkäufen und Merchandising, 300 000 zusätzliche Trikots sollen verkauft werden. Die Ticketpreise für Heimspiele wurden bereits erhöht, der Verein ist nun noch attraktiver für gute Spieler. Die gesamte Serie A erhofft sich einen Schub an Attraktivität, die darbende Liga könnte wieder Ziel für Superstars werden, der Calcio-Motor brummt wieder.

Für manche hört sich das Getöse aber schon jetzt eher wie ein Stottern an. Der Markt macht die Regeln, aber wollen wir das wirklich? Bei Vertragsschluss wird Ronaldo 37 Jahre alt sein. Und dass Juventus Turin die Champions League trotz allem nicht gewinnen könnte, daran mag in Turin im Moment niemand einen Gedanken verschwenden.

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