Die Welt ist zu klein für zwei Päpste

Christ&Welt/DIE ZEIT, 7.9.2017 - Franziskus und Benedikt XVI. geben sich einig, sind aber theologisch meilenweit voneinander entfernt. Szenen eines Konflikts, der nicht sein darf.

Benedikt XVI. und Franziskus. Ein Herz und eine Seele?

Benedikt XVI. und Franziskus. Ein Herz und eine Seele?

Seit einem Jahr ist ein Satz in der Welt, der mit allen Zweifeln an der harmonischen Koexistenz zweier Päpste im Vatikan aufräumen sollte. „Ja“, sagte der emeritierte Papst Benedikt XVI. in seinem im September 2016 veröffentlichten Interview-Buch „Letzte Gespräche“ auf die Frage, ob er mit der bisherigen Amtszeit von Papst Franziskus zufrieden sei. „Eine neue Frische in der Kirche, eine neue Fröhlichkeit, ein neues Charisma, das die Menschen anspricht, das ist schon etwas Schönes“, schwärmte der Emeritus über Franziskus. Dass ein Papst über das Wirken seines Nachfolgers spricht, das gab es bis dahin nicht. Der Satz war gewiss aufrichtig, sparte aber jedes Urteil über die Substanz des Pontifikats aus. Es passt kein Blatt zwischen sie, so lautet die offizielle Version vom Zusammenleben der beiden weiß gekleideten Männer im Vatikan. Die Wirklichkeit stellt sich anders dar. Das Narrativ von der Harmonie zwischen Benedikt XVI. und Franziskus ist eines der größeren, derzeit im Umlauf befindlichen Märchen.

Der persönliche Umgang der beiden ist davon ausgenommen. Man tauscht Freundlichkeiten aus, Franziskus hat seinen Vorgänger als Großvater im eigenen Haus verniedlicht. Der im direkten Umgang unkomplizierte Jorge Bergoglio versteht sich menschlich gut mit dem feinsinnigen und zurückhaltenden Bajuwaren aus Marktl am Inn. Dieser taucht zu offiziellen Anlässen nur auf, wenn ihm der Amtsinhaber zuvor grünes Licht gegeben hat. Auch die Veröffentlichung des Interview-Buchs ließ sich Benedikt von Franziskus genehmigen. Artig nimmt der 90-jährige Joseph Ratzinger als Zeichen der Unterwerfung seinen weißen Zucchetto ab und beugt sein Haupt, wenn er dem zehn Jahre jüngeren Amtsinhaber begegnet. Alle Spekulationen, sein Rücktritt vor viereinhalb Jahren habe keine Gültigkeit, hat Benedikt XVI. glaubhaft zurück gewiesen. Und doch haben sich in den vergangenen Monaten Störmeldungen angehäuft, die die angespannte Lage in der katholischen Kirche zusätzlich belasten.

Der letzte Anlass zur Aufregung war das Grußwort, das Benedikt XVI. anlässlich des Requiems für Joachim Kardinal Meisner Mitte Juli im Kölner Dom verfasst hatte. Sein Privatsekretär Erzbischof Georg Gänswein trug den Text teilweise unter Tränen vor. Besondere Aufmerksamkeit rief eine Passage hervor, in der Benedikt XVI. auf Meisner und dessen Wahrnehmung der gegenwärtige Lage der katholischen Kirche zu sprechen kam. „Wir wissen“, schrieb Benedikt zu Ehren seines Freundes, „dass es ihm, dem leidenschaftlichen Hirten und Seelsorger schwerfiel, sein Amt zu lassen, und dies gerade in einer Zeit, in der die Kirche besonders dringend überzeugender Hirten bedarf, die der Diktatur des Zeitgeistes widerstehen und ganz entschieden aus dem Glauben leben und denken.“ Meisner habe aus der tiefen Gewissheit gelebt, „dass der Herr seine Kirche nicht verlässt, auch wenn manchmal das Boot schon fast zum Kentern angefüllt ist“.

Selbst für Ratzinger-Verehrer klang in den Worten des Ex-Papstes die Feststellung mit, dass das von Franziskus gesteuerte Kirchenschiff in größter Seenot ist, und zwar nicht nur durch die vom Relativismus ausgelösten Stürme, sondern durch den Kurs seines Kapitäns höchstpersönlich. Der emeritierte Papst sei willkürlich instrumentalisiert worden, behauptete Gänswein. Doch wer um die Hintergründe weiß – und niemand kennt diese besser als Benedikt XVI. selbst – musste damit rechnen, dass seine Worte auch ohne bösen Willen als Kritik am amtierenden Papst verstanden werden konnten. Meisner war einer der engsten Verbündeten Ratzingers in der deutschen Kirche und einer von vier Kardinälen, die seit knapp einem Jahr mit ihren „Dubia“ öffentlich Zweifel am Lehramt von Franziskus und dessen postsynodalen Schreiben Amoris Laetitia geäußert hatten. Amoris Laetitia ist in der katholischen Kirche auch 17 Monate nach seiner Veröffentlichung der Stein des Anstoßes schlechthin.

Walter Kardinal Brandmüller, einer der ultrakonservativen Mitunterzeichner der Dubia, hat Franziskus empfohlen, ein neues Glaubensbekenntnis abzulegen. Auch das Instrument einer „formalen Korrektur“ des Kirchenoberhaupts halten die Kämpfer für den rechten Glauben am Köcheln, obwohl Modalitäten und Wirksamkeit eines solchen Schrittes völlig im Unklaren liegen. Beim verstorbenen Meisner und den drei verbliebenen Zweiflern, darunter der einst von Benedikt XVI. als Chef des Obersten Vatikangerichts berufene und von Franziskus entlassene US-Amerikaner Leo Burke und der ehemalige Erzbischof von Bologna, Carlo Caffarra, handelt es sich nicht etwa um ein paar ausgeflippte katholische Warlords, die Streit anzetteln, wo es gerade geht.

Dogmatisch gesehen ist das Quartett eine Ausprägung der Ratzinger-Theologie in ihrer radikalsten und reinsten Form. In dieser gab es keinen pastoralen Spielraum, wenn ein Gebot wie die Unauflöslichkeit der katholischen Ehe auf dem Spiel stand. Franziskus und sein Beraterstab hingegen wollen dieser Ära des Absoluten ein Ende machen. Bergoglios argentinischer Ghost-Writer, Erzbischof Víctor Manuel Fernández, rechtfertigte jüngst die Neuerungen in Amoris Laetitia als „harmonische Entwicklung und kreative Kontinuität“. Nach Meinung seiner Kritiker sind das nur schlecht getarnte Umschreibungen für Häresie. Nicht akzeptabel ist für sie, dass Papst Franziskus zugelassen hat, dass in zweiter Ehe verheiratete Katholiken in Einzelfällen die Kommunion empfangen dürfen. Kritiker wie Meisner erkennen in der Neuerung ein gefährliches Einfallstor für den Zeitgeist, in diesem Fall für die Scheidung auf Katholisch. Über die Methode, ob man dem amtierenden Papst mit öffentlichen Zweifeln die Pistole auf die Brust setzen soll, mögen Meisner und Ratzinger unterschiedlicher Ansicht gewesen sein. In den wichtigsten theologischen Fragen waren sie stets einer Meinung.

Das gilt auch für Gerhard Ludwig Kardinal Müller, bis Ende Juni Präfekt der Glaubenskongregation. Benedikt XVI. hatte Müller acht Monate vor seinem Rücktritt nominiert, um theologische Kontinuität zu garantieren. Seine unübliche Entlassung am Ende der fünfjährigen Amtszeit Anfang Juli durch Papst Franziskus war zwar kein direkter Affront gegen den emeritierten Papst, sie zeugt aber von den unterschiedlichen Perspektiven. Ratzinger und seinem Lager liegt theologische Kontinuität und strikte Traditionspflege am Herzen. In der Franziskus-Kirche ist die Theologie ins zweite Glied gerutscht. DerBenedikt-Gefolgsmann Müller scheiterte an dieser neuen Linie. Auch Joachim Meisner soll unter der Entlassung des Präfekten gelitten haben. „Das hat ihn persönlich bewegt und verletzt – und er sah es als einen Schaden für die Kirche an“, so beschrieb Müller die Reaktion Meisners auf seinen Rauswurf. Gewiss hat auch Benedikt XVI. im Vatikan-Kloster Mater Ecclesiae aus demselben Anlass nicht die Sektkorken knallen lassen, auch wenn Franziskus mit Luis Ladaria einen orthodoxen, aber Benedikt weit weniger vertrauten Nachfolger berief. Wie es heißt, schweigt Ratzinger im persönlichen Gespräch wie ein Grab zu den aktuellen Vorgängen in der Kirche. Das bedeutet nicht, dass er mit allem einverstanden ist.

Im Gegenteil. Eine weitere indirekte Auseinandersetzung zwischen Ratzinger und Bergoglio spielt sich in der Liturgie ab. Seit der ersten Messe, die der frisch gewählte Franziskus noch in der Sixtinischen Kapelle feierte, ist Bergoglio bei Puristen für seinen burschikosen Umgang mit der Liturgie berüchtigt. Die Missachtung liturgischer Feinheiten, die Benedikt XVI. hingegen immer besonders am Herzen lagen, empfanden manche lange Zeit als Verrat am Vorgänger. Dass Franziskus im November 2014 überraschenderweise den Traditionalisten Robert Kardinal Sarah aus Guinea als Präfekten der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung nominierte, rechneten ihm Kritiker jedoch an. In der Kurie heißt es, Bergoglio habe den bei den Ultrakonservativen höchst geachteten Kardinal mit einem Posten betrauen wollen, auf dem er kirchenpolitisch ohne Einfluss sei. Der Papst übersah dabei, dass sich eine der schärfsten Auseinandersetzungen in der katholischen Kirche aber exakt um die Liturgie dreht. Denn nirgends unterscheiden sich traditionalistische und modernistische Geister so stark wie in ihren Ansichten über die Anbetung Gottes.

Sarah nutzte den ihm zugestandenen Spielraum und brachte für die Liturgie eine „Reform der Reform“ ins Spiel, also eine Revision der im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) möglich gewordenen Neuerungen. Es kam einer öffentlichen Demütigung des Kardinals gleich, als der Heilige Stuhl im Juli 2016 in einer Presseerklärung dem Konzept der „Reform der Reform“ ausdrücklich eine Absage erteilte und die Mahnung des Papstes hervorhob, die (von Benedikt XVI. einst per Dekret aufgewertete) traditionalistische Form der Messe dürfte nicht den ordentlichen Ritus verdrängen. Dass der emeritierte Papst in der Folge aus eigenem Antrieb ein besonders schmeichelhaftes Vorwort zur deutschen Ausgabe des neuen Buches von Robert Sarah („Kraft der Stille“) verfasste, spricht Bände. „Bei Kardinal Sarah, einem Meister der Stille und des inneren Betens, ist die Liturgie in guten Händen“, formulierte Benedikt XVI. Man kommt kaum umhin, diese Geste als Rehabilitation des vom amtierenden Papst gedemütigten Präfekten zu interpretieren.

Mit seinem Gelöbnis, nach dem Rücktritt „verborgen vor der Welt“ zu bleiben, hat Benedikt XVI. sichtbare Schwierigkeiten. Wenn er persönlich auftritt, wie bei der Feier seines 65. Priesterjubiläumsfeierlichen im Juni 2016 im Vatikan, sind die Ergebenheits-Adressen gegenüber Franziskus geradezu barocker Art: „Mehr als die vatikanischen Gärten mit ihrer Schönheit ist Ihre Güte der Ort, an dem ich wohne“, sagte Benedikt XVI. damals. Wenn der altersschwache, aber immer noch hellwache emeritierte Papst hingegen im Kloster zum scharf gespitzten Bleistift greift, ist nicht ausgeschlossen, dass sich trotz allen Gottvertrauens seiner dann auch eine Spur schlechten Gewissens bemächtigt. Schließlich sollte sein Rücktritt eine Wende für die Kirche bringen. Die hat sich Benedikt XVI. aber gewiss anders vorgestellt.

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