Augsburger Allgemeine, 20.10.2016 - Don Luigi Ciotti ist Italiens bekanntester Straßenpriester. Er kämpft für die Schutzlosen, gegen Ungerechtigkeiten, die Mafia und ist selbst in Lebensgefahr. Doch es gibt zunehmend Kritik an seinem Stil.

Es gibt Menschen, die füllen einen ganzen Saal mit ihrer Persönlichkeit aus. Luigi Ciotti gehört zu ihnen. Wenn er auf dem Podium sitzt, dann warten die Zuhörer meistens nur darauf, dass er endlich das Wort ergreift, der Straßenpriester, der Antimafia-Held, der Furchtlose, Don Ciotti. Er spricht gerne und oft, mit ausladenden Gesten und gewichtigen Worten, die er manchmal mantraartig wiederholt. Ein solcher Satz vom ihm lautet: „Nur das Wir kann Veränderungen und soziale Gerechtigkeit erzeugen.“ Wer Don Ciotti noch nie sprechen gehört hat, der wundert sich über die Verve, mit der dieser Mann seinen Einsatz für eine bessere Welt untermalt. Ciotti ist 71 Jahre alt, fast immer erscheint er im hellblauen Hemd, darüber trägt er einen dunklen Pullover. Im Priesterkragen haben ihn die wenigsten zu Gesicht bekommen. Dieser so gar nicht abgehobene Geistliche stammt aus Turin, ist fast nie zuhause und zweifellos ein Unikat, eine Art Irrwisch im Dienste der Gerechtigkeit. Die Universität Augsburg verleiht Ciotti an diesem Donnerstag den mit 10 000 Euro dotierten Mietek-Pemper-Preis für seine Verdienste um Versöhnung und Völkerverständigung. Es gibt zwei Schlüsselmomente in seinem Leben. Zum Einen ist da das Zweite Vatikanische Konzil, das 1965

zu Ende ging. Ciotti war damals 20 Jahre alt und fasziniert von einer Kirche, die ihre Gläubigen nicht mehr nur mit strengen Vorschriften konfrontierte, sondern ihnen das Streben nach Erneuerung gestattete. Viele geistliche Bewegungen entstanden in Folge des Konzils, auch der junge Ciotti gründete eine Gruppe, die sich später den Namen „Abel“ gab, nach dem von seinem Bruder Kain aus Neid erschlagenen Sohn Adams und Evas aus dem Alten Testament. In Abel erkannten Ciotti und seine Mitstreiter das Sinnbild des hilflosen Menschen. Im „Gruppo Abele“ kümmerten sich die jungen Katholiken deshalb um die Resozialisierung von Gefangenen und erstmals in Italien um HIV-Kranke. Als der wenig linientreue Turiner Kardinal Michele Pellegrino den 27-jährigen Ciotti 1972 zum Priester weihte, vertraute er ihm nicht etwa eine gewöhnliche Pfarrei irgendwo im Piemont an. Ciottis Pfarrei sei die Straße, sagte der Kardinal. Ciotti und seine Mitstreiter kümmerten sich um verzweifelte Existenzen, um Drogensüchtige, später…

Main-Post, 27.9.29016 - Erstmals haben Geschäftsleute in dem sizilianischen Dorf ihre Erpressung durch die Cosa Nostra angezeigt

Corleone ist ein gebrandmarktes Dorf. Alle Welt kennt den Ort auf Sizilien von den Bildern aus dem romantisierenden Mafiafilm „Der Pate“ von Francis Ford Coppola. Dessen fiktiver Protagonist Don Vito Corleone ist gar nach dem Ort benannt. Aber auch in der Realität spielte die Cosa Nostra hier in den vergangenen Jahrzehnten eine tragende Rolle. Die Superbosse Salvatore Riina und Bernardo Provenzano wurden in Corleone geboren und bauten von dort aus ihre mörderische Herrschaft über ganz Sizilien auf. Der 85-jährige Riina steckt seit 1993 im Gefängnis, Provenzano starb vor gut zwei Monaten 83-jährig in Haft. Zwar ist die Zeit der einflussreichen Superbosse auf Sizilien vorbei, von den berüchtigten Verbrechern ist nur noch Matteo Messina Denaro auf der Flucht. Dennoch wurde erst im August die Gemeindeverwaltung von Corleone aufgelöst, wegen Unterwanderung durch die Mafia. Allerdings gibt es nun auch positive Nachrichten im Zusammenhang mit dem Nest in der Provinz Palermo. Erstmals haben acht Unternehmer aus Corleone, die Schutzgeld an die Mafiosi zahlten, diese Erpressung der Polizei angezeigt und so das „omertà“

genannte Schweigegelübde gebrochen. „Wenn Handwerker und Geschäftsleute in Dörfern wie Corleone Schutzgelderpressung anzeigen, ist das auch überall anders möglich“, sagt Daniele Marannano von der Antimafiaorganisation Addiopizzo. Die Anzeige hatte am Dienstagmorgen eine Festnahme-Welle zur Folge. Die Carabinieri von Palermo nahmen in Corleone zwölf Männer fest, die offenbar versucht hatten, die kriminelle Herrschaft über den Bezirk neu zu organisieren. Die Ermittler hatten die Mafiosi in einem Büro im Stadion von Corleone abgehört und dabei von der Erpressung mehrerer Unternehmer aus dem Immobiliensektor in Corleone und Umgebung mittels Zahlung des sogenannten pizzo erfahren. Zudem war die vor allem in Palermo erfolgreiche Anti-Schutzgeld-Organisation Addiopizzo in den vergangenen Monaten mit einigen Geschäftsleuten der Gegend in Verbindung getreten, die sich jüngst ebenfalls entschlossen, die Erpressung anzuzeigen. „Eine Anzeige in diesem Umfeld ist keine Selbstverständlichkeit“, sagt Marannano. In kleinen Dörfern wie Corleone, Palazzo Adriano oder Chiusa Sclafani sei beinahe jeder mit jedem bekannt. „Es kann also gut…

Augsburger Allgemeine, 25.4.2016 Das Dorf der Filmhelden Don Camillo und Peppone ist von der Mafia unterwandert. Die italienische Regierung ergriff nun eine drastische Maßnahme.

Auf dem schönen Dorfplatz von Brescello ist die Welt noch in Ordnung. Vor der weißen Kirche hebt Don Camillo die Hand zum Gruß, vor dem Rathaus schwenkt Peppone den Hut. Der schlitzohrige Pfarrer und der kommunistische Bürgermeister, deren Bronzestatuen den Ort in der Emilia-Romagna schmücken, haben tausende Leser und Fernsehzuschauer beglückt. Giovannino Guareschi prägte mit seinen Erzählungen das Bild Italiens in der Nachkriegszeit. Damals kreiste das Leben um Kirche und Arbeit. Heute kommt man selbst in Brescello an der Mafia nicht vorbei. Die italienische Regierung hat nun den Gemeinderat von Brescello aufgelöst. Das nördlich der Stadt Parma gelegene Dorf, in dem sechs „Camillo und Peppone“-Filme gedreht wurden, ist von der ‘Ndrangheta unterwandert – der aus Kalabrien stammenden Mafia. Erfahrungsgemäß sind die Zustände erschreckend, wenn die Exekutive zu so einer drastischen Maßnahme greift. Seit 1991 war dies bei weit über 200 Kommunen in Italien notwendig, vor allem in den südlichen Regionen Kalabrien, Sizilien und Kampanien. In den vergangenen Jahren wurden zudem Gemeinderäte in Ligurien, im Piemont und der Lombardei aufgelöst. Und jetzt eben auch

in Brescello. Illegale Geschäfte in Norditalien Mit der 5600-Einwohner-Gemeinde hat es erstmals eine Kommune in der produktiven Emilia-Romagna getroffen. Damit ist nicht nur das italienische Dorf-Idyll aus den Filmen zerstört. Die Auflösung des Gemeinderats von Brescello und seine demnächst beginnende, 18 Monate dauernde Verwaltung durch drei Kommissare ist ein Weckruf: Selbst im scheinbar intakten italienischen Norden ist längst Misstrauen angebracht. Die Mafia hat auch da ihre Hände im Spiel, wo man sie nicht vermutete. Gleichwohl ist bekannt, dass die ‘Ndrangheta seit Jahrzehnten illegale Geschäfte in der Emilia-Romagna macht. In Brescello sind zahlreiche Mitglieder des Clans Grande Aracri ansässig, unter anderem der wegen Mafia-Zugehörigkeit verurteilte Boss Francesco Grande Aracri. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft im Rahmen der Operation „Aemilia“ und ein derzeit in der Provinzhauptstadt Reggio Emilia laufender Mega-Prozess gegen 147 Angeklagte werfen ein Schlaglicht auf die Verhältnisse. Neu hingegen scheint die systematische Verquickung der Lokalpolitik, also der heutigen Peppones zu…

Tageswoche, 2.8.2015 Rom, sagen manche, ist heute gefährlicher als Palermo. Der sizilianische Anti-Mafia-Staatsanwalt Alfonso Sabella soll deshalb die von Korruption und Verbrechen zersetzte italienische Hauptstadt auf Vordermann bringen. Eine unmögliche Aufgabe?

Mit Pistole aufs Kapitol: Ex-Staatsanwalt Alfonso Sabella (Foto: Max Intrisano)

Mit Pistole aufs Kapitol: Ex-Staatsanwalt Alfonso Sabella (Foto: Max Intrisano)

Man weiß nicht, ob das nun ein beruhigendes oder ein beunruhigendes Zeichen ist, dass im römischen Kapitol jetzt auch Waffen zum Alltag gehören. Alfonso Sabella wurde neulich dabei ertappt, wie er mit wehendem Jackett und einer Pistole im Gurt in sein Büro eilte. „Wenn ich das Gefühl habe, heute ist kein guter Tag, dann nehme ich meine Waffe mit“, sagt der sizilianische Ex-Staatsanwalt. Auch darüber kann man streiten: Was hat es zu bedeuten, dass in der Verwaltung der italienischen Hauptstadt inzwischen Mafia-Jäger unabdinglich sind? Seit Dezember 2014 ist Sabella Assesor für Legalität der Stadt Rom. Er sitzt in seinem Büro im Palast der Senatoren und raucht Kette. Neben der Zigarettenschachtel liegt eine Maxi-Packung mit Kopfwehtabletten. Es ist drückend heiß in der Stadt und Sabellas Aufgabe herkulisch. Der 52-Jährige soll die korrupte und insgesamt 50 000 Mitarbeiter umfassende Verwaltung der Stadt Rom zu einer nach rechtsstaatlichen Maßstäben funktionierenden Verwaltung umbauen. Davon kann heute nicht die Rede sein. „Die Verwaltung Roms ist seit Jahrzehnten von Korruption geprägt“, sagt Sabella. Von seiner Vergangenheit als Antimafia-Staatsanwalt

zeugen zehn an die Wand genagelte Ehrenplaketten. Unter anderem bedankt sich hier die Antimafia-Einheit von Palermo für die Zusammenarbeit. Über Hundert Mafiosi hat Sabella als Staatsanwalt gejagt und einsperren lassen, darunter Bosse wie Giovanni Brusca und Leoluca Bagarella. Jetzt soll der Sizilianer die Hauptstadt säubern, sie hat es nötig. Die Mafia, sagen Leute, die sich mit der Materie auskennen, sei heute in Rom mehr zu fürchten als in Palermo. Der Anruf von Bürgermeister Ignazio Marino kam nicht zufällig kurz vor Weihnachten. In Rom war Tage zuvor ein Mafia-Netzwerk aufgeflogen, bei dem die Fäden der Organisierten Kriminalität in der Stadt zusammen liefen und das Unternehmer, Funktionäre der Verwaltung und Politiker auf seiner Gehaltsliste hatte. „Mafia Capitale“, wie die Staatsanwaltschaft das römische Netzwerk bezeichnete, bestätigte, was viele längst ahnten. Die öffentliche Verwaltung und weite Teile des Geschäftslebens der Hauptstadt sind von Korruption und Verbrechen zersetzt. Das eine war die Arbeit…