Mittelbayerische Zeitung, 11.4.2017 - Benedikt XVI. feiert an Ostern seinen 90. Geburtstag. Erst jetzt werden die Konsequenzen seines Rücktritts vor vier Jahren deutlich.

Im vollen Ornat: Papst Benedikt XVI., in seiner aktiven Amtszeit mit rotem Hut.

Im vollen Ornat: Papst Benedikt XVI., in seiner aktiven Amtszeit mit rotem Hut.

Es ist schon über ein Jahr her, dass Benedikt XVI. im weißen Wintermantel und gestützt auf einen schwarzen Gehstock vor seiner Bleibe im Vatikan stand und die Ehrerbietungen einer Besuchergruppe aus Süddeutschland entgegennahm. Es gab Geschenkkörbe und freundliche Worte. Ein Mann aus der Gruppe sagte, man würde sicher bald auch zum 90. Geburtstag gratulieren. Benedikt XVI. lehnte dankend und mit einem Schmunzeln ab: „Na, lieber ned“, sagte der emeritierte Papst mit hörbar bayerischem Einschlag. Seine Antwort war kein Affront, sie klang schlicht nach Lebensmüdigkeit. Nun ist es doch so weit. Am Ostersonntag wird Benedikt XVI. 90 Jahre alt. An diesem Hochfest zieht ein Ex-Papst besser wenig Aufmerksamkeit auf sich. Erst einen Tag später wird Joseph Ratzinger eine mittelgroße Feier abhalten. 30 bayerische Gebirgsschützen machen ihre Aufwartung, der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer und seine Ehefrau sowie ein paar andere Ehrengäste haben sich angekündigt. Die rund 50 Gratulanten werden auf einen sehr alten Mann treffen, der im Kopf noch hellwach ist, aber kaum noch gehen kann. Wenn er sich nicht auf seinen Sekretär, Erzbischof Georg Gänswein

oder einen Gehstock stützt, dann nimmt er schon seit geraumer Zeit die Dienste eines Rollators in Anspruch. Diesem Alterungsprozess steht eine ganz andere Entwicklung gegenüber, deren Tragweite sich erst jetzt langsam erschließt. Die päpstliche Ko-Existenz Oberflächlich betrachtet herrscht im Vatikan fast Routine angesichts der zwei Männer in Weiß, die im Schatten des Petersdoms relativ umtriebig ihr Tagwerk verrichten. Papst Franziskus ist der Chef, daran zweifeln nicht einmal mehr seine hartnäckigsten Gegner. Bergoglio und Ratzinger begegnen sich regelmäßig, was nicht heißen muss, dass sie in allem einer Meinung sind. Es kann gut sein, dass Franziskus seinem Vorgänger auch am Sonntag persönlich gratulieren wird. Sie schreiben sich Briefe, der Kontakt ist rege. Die päpstliche Ko-Existenz sei etwa so, wie den Großvater im eigenen Haus zu haben, sagte Franziskus zu Beginn seines Pontifikats. Eine harmlose Bemerkung, die auch insofern zutrifft, als dass Großväter manchmal ziemlich platzergreifend sein können. Die…

Main-Post, 3.3.2017 - Papst Franziskus versprach Null-Toleranz in der Missbrauchsbekämpfung. Jetzt hat die letzte Betroffene die Vatikan-Kommission zum Kinderschutz verlassen. 

Marie Collins hat das Grauen am eigenen Leib erlebt. Mit 13 Jahren wurde sie bei einem Krankenhausaufenthalt in Dublin von einem Kaplan missbraucht und vergewaltigt. Sie wurde depressiv, erst im Alter von 47 Jahren konnte die Irin über das Geschehene sprechen. Nicht nur unter den Misshandlungen habe sie gelitten, sondern auch darunter, dass die Kirche ihren Peiniger lange schützte. Bevor der Priester 1997 verurteilt wurde, hatte ihn sein Bischof in eine neue Pfarrei versetzt, wo er sich erneut strafbar machte. Diese Erfahrung brachte die Aktivistin mit, als Papst Franziskus sie vor drei Jahren in eine Kinderschutzkommission zur Bekämpfung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche berief. Am Mittwoch trat die heute 70 Jahre alte Irin als einzige verbliebene Betroffene in dem 17-köpfigen Gremium zurück. „Der Mangel an Kooperation, vor allem durch das Dikasterium, das am engsten mit Missbrauchsfällen befasst ist, war eine Schande“, schrieb Collins in einem Statement. Damit ist die vom Deutschen Gerhard Ludwig Müller geleitete Glaubenskongregation gemeint. Sie hat die Supervision über alle bekannt gewordenen Missbrauchsfälle in der

Kirche. Collins bemängelte „stetige Rückschläge“ in der Arbeit der Kommission und den „Widerstand einiger Mitglieder der Kurie“. Die Weigerung von Seiten der Kongregation, sämtliche Briefe von Missbrauchs-Betroffenen trotz einer Anordnung des Papstes persönlich zu beantworten, habe das Fass zum Überlaufen gebracht. Angesichts dieser Tatsachen sei es ihr „unmöglich, die öffentlichen Bekenntnisse über die tiefe Sorge in der Kirche für Missbrauchsopfer zu hören“, schrieb Collins in einem Beitrag für den National Catholic Reporter. Sie wirft der Kirche Doppelmoral vor. Unüberwindbare Hürden Auch von der Kommission erarbeitete Richtlinien für Diözesen zum Kinderschutz seien nicht weitergeleitet worden. Enttäuscht zeigte sich Collins zuvor bereits von der nie wahrgemachten Ankündigung eines Vatikangerichts im Juni 2015, vor dem sich vertuschende Bischöfe verantworten sollten. Die Kommission hatte die Einrichtung empfohlen, der Papst zugestimmt. Auch die neuesten von Franziskus verabschiedeten und seit September geltenden rechtlichen Normen zur Verurteilung vertuschender Bischöfe beruhigten Collins nicht. Es sei unmöglich zu erfahren,…

Christ&Welt/DIE ZEIT, 17.2.2017 - Die Trump-Regierung will die Welt wieder christlicher machen. Dafür sucht Chefberater Stephen Bannon den Schulterschluss mit konservativen Kräften im Vatikan. Die haben ihre eigene Agenda: Papst Franziskus schwächen und das Rad der Zeit zurückdrehen.

Stephen Bannon, Chefberater von US-Präsident Donald Trump, hat beste Verbindungen in den Vatikan.

Stephen Bannon, Chefberater von US-Präsident Donald Trump, hat beste Verbindungen in den Vatikan.

Am 27. Juni 2014 war Donald Trump noch ein halbseidener New Yorker Milliardär und Stephen Bannon trug noch keine Jacketts. Der Chef der ultrarechten amerikanischen Nachrichtenseite Breitbart News saß an diesem Tag vor seinem Computer in einem Hotel in Los Angeles. Bannon war per Skype mit dem Vatikan verbunden. Dort, in einem prächtigen Renaissance-Palazzo mitten in den Vatikanischen Gärten, im Sitz der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, warteten ein paar Dutzend Zuhörer. 50 Minuten lang skizzierte Bannon seine ganz persönliche Apokalypse in einem düsteren Videotelefonat. Am gleichen Tag beging Raymond Leo Kardinal Burke das sechste Jubiläum seiner Nominierung als Präfekt der Apostolischen Signatur, des höchsten Vatikangerichts. Burke spürte damals, im Frühsommer 2014, wie ihm langsam der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Papst Franziskus hatte den erzkonservativen Kardinal im Vorjahr bereits aus zwei Kongregationen abberufen, ein paar Monate später sollte er vom Papst auch als Chef des obersten Vatikangerichts abgesetzt und zum Malteserorden abgeschoben werden – als dessen Kardinalpatron. Burke war schon damals Franziskus’ schärfster innerkirchlicher Kritiker. Während Kardinal Burke sich in der katholischen Hierarchie auf

dem absteigenden Ast befand, legte Stephen Bannon einen kometenhaften Aufstieg in die Spitze der US-amerikanischen Politik hin. Der 63-Jährige ist heute Chefberater Donald Trumps und oberster Stratege im Weißen Haus. Das macht ihn zu einem der einflussreichsten Menschen auf der Welt. Speerspitze der konservativen Internationalen Der Berater des US-Präsidenten und der schärfste Kritiker des Papstes kennen und schätzen sich. Die beiden amerikanischen Katholiken bilden die ideologische Speerspitze einer rechtskonservativen Internationalen, die spätestens mit Trumps Wahlsieg salonfähig geworden ist. Die Rollen sind klar verteilt: Burke gibt den katholischen Ideologen, den Wächter über die Moral. Bannon ist der Strippenzieher im Weißen Haus, im Cockpit der größten Weltmacht. Es handelt sich bei diesem Schulterschluss nicht um eine krude Verschwörung, sondern um einen offenen Feldzug gegen Säkularisierung und Islam. Ganz nebenbei tragen die beiden Männer ihren Teil zur Entstehung einer internationalen rechtspopulistischen Bewegung bei. Der Kardinal und der Berater lernten sich…

Christ&Welt/DIE ZEIT. 10.2.2017 - Wie Franziskus die Weltkirche verändert, indem er sie an die Freiheit des Katholiken glauben lässt.

Die Angelegenheit klingt verrückt. Da reibt sich die größte Gemeinschaft des Christentums in jahrelangen Diskussionen um eine Frage auf, die nur Spezialisten verstehen: Sakramente für wiederverheiratete Geschiedene, Ja oder Nein? Die Debatte wirkt wie die hinterwäldlerische Diskussion, in die sich die katholische Kirche unter Papst Franziskus verstrickt hat, die sie aber dennoch an die Grenzen ihrer Belastbarkeit bringt. Man könnte den Fall abtun mit dem Eindruck, dass die Kirche sich endgültig verabschiedet hat aus der Wirklichkeit. Doch so leicht ist die Sache nicht. Vergangene Woche sind auch die deutschen Bischöfe dem Papst gefolgt. In ihrer Interpretation des Papstschreibens Amoris laetitia über Ehe und Familie und die Rolle, die die Kirche auf diesem Gebiet spielen soll, erweisen sich die Bischöfe als Erfüllungsgehilfen von Franziskus. Katholiken, die ein zweites Mal standesamtlich geheiratet haben und deshalb nach der strengen katholischen Lehre Ehebruch begehen, dürfen in Ausnahmefällen nun auch in Deutschland ganz offiziell zur Kommunion. So konnte, ja musste man Amoris laetitiaverstehen. In vielen Gemeinden ist diese Haltung schon lange Praxis. Die Entscheidung ist deshalb weder überraschend noch besonders mutig.

Aber es ist Teil eines epochalen Veränderungsprozesses in der katholischen Kirche. Die Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene ist das Trojanische Pferd, das der Papst der katholischen Kirche vor ihre unüberwindbar scheinenden Mauern gebaut hat. Die Bischöfe, zumindest die deutschen, zerren es nun ins Innere des Gebäudes. Existenzbedrohende Gedanken Im Pferd verstecken sich nicht griechische Soldaten, sondern ein Gedanke, dessen Inhalt existenzbedrohend für die Kirche ist. Der Gedanke heißt Gewissensfreiheit. Der Papst gibt in Amoris laetitia zu verstehen, dass der Kommunion-Empfang für die (numerisch kleine) Spezies der wiederverheirateten Geschiedenen möglich ist, wenn die Betroffenen den Schritt mit ihrem Gewissen vereinbaren. So ähnlich hat der Papst sich auch bei seinem Besuch in einer römischen protestantischen Kirche im November 2015 auf die Frage der gemeinsamen Kommunion von gemischtkonfessionellen Paaren ausgedrückt. "Seht selbst", sagte Franziskus damals, und "geht voran!" So lautet die neue Devise in der katholischen Kirche. Eine der einflussreichsten Bischofskonferenzen, die deutsche,…