Rheinische Post, 29.8.2016 Italiens Ministerpräsident Renzi nutzt die politischen Chancen eines tragischen Moments.

Italiens Premierminister Matteo Renzi.

Italiens Premierminister Matteo Renzi.

Matteo Renzi gibt in diesen Tagen den Krisenmanager. Der italienische Ministerpräsident und Chef der italienischen Sozialdemokraten ist bekannt für seine burschikose Art. Jetzt, nach dem schweren Erdbeben in Mittelitalien mit bislang 291 Toten, wirkt der 41-Jährige Politiker wie in seinem Element. Er trifft den richtigen Ton, er ruft die Bürgermeister der zerstörten Bergdörfer an und meldet sich bei ihnen mit Vornamen. Mit „ich bin's, Matteo“ habe sich der Premier bei ihm am Telefon vorgestellt, erzählte der Bürgermeister einer der zerstörten Orte. Renzi versprach den originalgetreuen Wiederaufbau, nachhaltige Prävention, aber er sagte auch, dass erst einmal die Tränen getrocknet werden müssen. Ein Foto zeigt den Ministerpräsidenten, wie er einen Feuerwehrmann, der Erdbebenopfer geborgen hat, innig umarmt. Man muss Renzis Aufrichtigkeit nicht anzweifeln. Doch bekanntlich sind Politiker auch Verkäufer von Gefühlen und Stimmungen. Italien, insbesondere die vom Erdbeben betroffenen Regionen Latium und Marken, sehnt sich derzeit nach Garantien. Renzi bedient diese Sehnsucht auf formidable Weise und könnte vom Ausnahmezustand profitieren. „Leadership in Gummistiefeln“ wurde dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder einst attestiert, als er nach der Elbeflut

im Jahr 2002 Tatkräftigkeit vermittelte und so die verloren geglaubte Bundestagswahl noch knapp gewann. Alles deutet darauf hin, dass auch Renzi die politische Chance eines tragischen Moments erfasst hat. In gut zwei Monaten steht mit einem Verfassungs-Referendum der bislang kritischste Moment in der Karriere des jungen Ministerpräsidenten bevor. Jahrzehntelang ächzte die italienische Republik unter der Inneffizienz seiner politischen Mechanismen und unter instabilen Verhältnissen. Die mehrfach von beiden Parlamentskammern gebilligte Umwandlung des Senats in eine zweitrangige Kammer soll nun stabile Verhältnisse bringen. Kritiker bemängeln, Regierung und Premierminister verfügten künftig über eine gefährliche Machtfülle. Der Widerstand gegen die Verfassungsreform wirkte zunächst überschaubar, Renzi zettelte die Volksabstimmung zur nachträglichen Legitimation seiner Reform selbst an. Inzwischen ist der Protest gegen seine Politik nicht zuletzt wegen der anhaltenden Wirtschaftsflaute so groß geworden, dass das Ergebnis der Volksabstimmung keineswegs mehr eindeutig ist. Renzi hatte den Ausgang des Referendums außerdem mit seiner eigenen…

Augsburger Allgemeine, 12.8.2016 Weil sich manche Feriengäste schon im Morgengrauen einen Platz am Strand reservieren, sind die Einheimischen aufgebracht. Nun greift die Küstenwache durch.

Stress am Strand?

Stress am Strand?

Strand ist nicht einfach Strand in Italien. Es gibt die „spiaggia libera“, den freien Strand. Und es gibt die „stabilimenti“, die von einem Pächter betriebenen und mit Liegestühlen und Sonnenschirmen ausgerüsteten Strandanlagen. Das wahre Sommervergnügen empfindet der Italiener am freien Strand. Denn hier kommt er normalerweise nicht ölsardinenartig neben Seinesgleichen zu liegen. Die im Grunde anarchische und zivilisatorische Urtriebe weckende Okkupation des eigenen Stück Landes mit Handtuch, Sonnenschirm und neuerdings auch sogenannten Strandmuscheln gibt den Bewohnern des italienischen Stiefels im Sommer ein Stück der Freiheit zurück, die sie in den Mühen des Alltags aufgegeben haben. Der Strand ist außerdem des Italieners Eigentum. Die 7500 Kilometer Küste in Italien sind nämlich Staatsbesitz. Wer sich an der Küste breit macht, etwa mit der Konstruktion wahrhaftiger Immobilien oder auch nur mit vorübergehenden Konstruktionen, der legt sich im Prinzip mit dem ganzen Land an (oder hat beste Beziehungen zu den Behörden). Wenn es nun aber dazu kommt, dass der Italiener morgens am Strand bereits ganze Batterien von Sonnenschirmen, Handtüchern oder sonstigen Platzhaltern vorfindet, dann wird es ernst. Die Rede ist vom „Krieg der Sonnenschirme“. Einer der Schauplätze

dieser Auseinandersetzung ist die toskanische Provinz Livorno. Im Seebad Marina di Cecina machten Angehörige der italienischen Küstenwache zuletzt schon am frühen Morgen einen grausigen Fund: 37 Liegestühle, 30 Sonnenschirme, Handtücher und „sogar Badekleidung“, wie die Zeitung La Repubblica entsetzt festhielt, alles verteilt auf einer Länge von 100 Metern, in unmittelbarer Nähe des Wassers. Hier wollte eine ganze Armada von Badegästen ganz offenbar das Prinzip des freien Strandes konterkarieren, indem die Platzhalter bereits am Vorabend deponiert worden waren. Die Beamten der Küstenwache konfiszierten die Gegenstände. Die Rechtsgrundlagen für diesen eigentlich sehr unitalienischen Akt behördlicher Intoleranz sind mannigfaltig. Da wären zum Beispiel das Gebot des allgemeinen Anstands, die von der Küstenwache in diesem Jahr offenbar besonders eng ausgelegte „Operation sicheres Meer“ sowie ein Erlass der Gemeinde Marina di Cecina. Sinngemäß muss diesem zu Folge mit bis zu 200 Euro Bußgeld rechnen, wer sich der übereifrigen Reservierung…

ZEIT online/Christ&Welt 12. August 2016 Seit drei Jahren steht der Präfekt der Glaubenskongregation im Schatten von Papst Franziskus. Wird der 68-Jährige Deutsche bald abgelöst?

Kardinal Gerhard Ludwig Müller, 68.

Kardinal Gerhard Ludwig Müller, 68.

Auch Riesen haben es manchmal nicht leicht. Gerhard Ludwig Müller ist zwei Meter groß, er überragt seine Gesprächspartner um mindestens einen Kopf. Dass er sein Gegenüber von oben herab behandeln würde, kann man allerdings nicht behaupten. Im Gegenteil, derzeit kommt es häufiger vor, dass der Präfekt der Glaubenskongregation lächelt, obwohl ihm gar nicht danach zu Mute ist. Menschen, die täglich mit ihm zu tun haben, behaupten, Müller habe es in Rom gerade ausgesprochen schwer. Der Grund ist eine tiefe Kluft zwischen der Agenda des Papstes und den Überzeugungen eines Mannes, der dieses Programm eigentlich gestalten sollte. Wenn man so will, führt der 68-Jährige unter Franziskus das Dasein eines Tropfen Wassers in einer Teflon-Pfanne, er wird ständig abgestoßen. Deshalb ist es auch nicht überraschend, dass im Vatikan über Müllers Ablösung spekuliert wird. Der Papst aus Argentinien und der Kardinal aus Mainz-Finthen passen einfach nicht zusammen. Zu Beginn der Amtszeit von Franziskus hätte Müllers Abberufung noch wie ein Affront gegen Benedikt XVI. gewirkt. Ratzinger hatte den ehemaligen Bischof von Regensburg sieben Monate vor seinem Rücktritt noch rasch als Präfekt der Glaubenskongregation installiert, als Garantie für theologische Kontinuität.

Inzwischen sind mehr als drei Jahre vergangen. Die Stimmen, die eine Wachablösung an einer der wichtigsten Schaltstellen in der Kurie für überfällig und folgerichtig halten, mehren sich. Streit um Amoris Laetitia Der Moment, in dem auch den Kritikern des Papstes bewusst wurde, dass es Zeit ist für den Wechsel, war die Präsentation des nachsynodalen Schreibens Amoris Laetitia im April. Die Exhortation ist die Antwort von Franziskus auf die Diskussionen bei den beiden Bischofssynoden in den vergangenen Jahren zum Thema Ehe, Sex und Familie. Bergoglio schlägt darin einen neuen, versöhnlichen Ton an, insbesondere im Hinblick auf das umstrittenste katholische Thema der vergangenen Jahre, die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten. Seit Amoris Laetitia ist der Zugang für die Wiederverheirateten zur Kommunion de facto geebnet. Für Traditionalisten kommt das einem Super-Gau gleich, weil in ihren Augen damit das Gebot der Unauflöslichkeit der Ehe…

Badische Zeitung, 2. August 2016 Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi ist noch nicht einmal zwei Monate im Amt. Sie stößt aber schon auf altbekannte Hindernisse.

Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi (38)

Roms Bürgermeisterin Virginia Raggi (38)

Es ist bald sechs Wochen her, dass Virginia Raggi vorübergehend die Fassung verlor. Als sie sich den Fotografen beim Amtsantritt auf dem Rathausbalkon präsentierte, flossen Roms neuer Bürgermeisterin die Tränen über die Wangen. Man konnte es verstehen, die 37-jährige Anwältin war von sich selbst überwältigt. Raggi ist in knapp 3000 Jahren Stadtgeschichte die erste Frau im römischen Kapitol. Zudem schien jetzt Wirklichkeit zu werden, was die 5-Sterne-Bewegung des Komikers Beppe Grillo seit ihrer Gründung vor sieben Jahren als Programm ausgibt: Die Bürger bemächtigen sich endlich der von einer korrupten Politiker-Kaste besetzten italienischen Institutionen. Würde Raggi heute erneut mit Tränen in den Augen ertappt - niemand würde sich wundern. Denn viel komplizierter hätten die ersten Wochen ihrer Amtszeit kaum sein können. Zu Beginn hatte die Römerin große Schwierigkeiten, überhaupt ihr zehnköpfiges Referenten-Team zusammen zu stellen. Der Kandidat für Sport etwa, ein ehemaliger Rugby-Spieler, hatte mit rassistischen Bemerkungen von sich Reden gemacht und fiel deshalb durch. Anschließend verhinderten Grabenkämpfe innerhalb der 5-Sterne-Bewegung einen überzeugenden Start, die italienische Presse schrieb gar von einem „Bandenkrieg“. Nun droht ein regelmäßig wiederkehrendes Phänomen alle guten

Vorsätze Raggis wie Seifenblasen zerplatzen zu lassen: der Müll. Wieder einmal sind etliche Straßen und Viertel mit stinkenden Müllsäcken übersät, 300 000 Tonnen sollen es sein. Roms Ratten (bis zu neun Millionen) feiern. Da wirkt es so, als verwirklichte sich die finstere Prophezeiung des Komikers Beppe Grillo, Gründer der 5-Sterne-Bewegung. Noch in der Nacht des Wahlsieges hatte er vorhergesagt, dass nun dunkle Mächte ans Werk gehen würden, um Raggi Steine, respektive Müllsäcke zwischen die Beine zu legen. Dabei gelangt in diesen Tagen nur ein chronisches, weil nie gelöstes Problem an die Oberfläche. Beinahe jeden Sommer kommt es in Rom zum Müll-Chaos. Seit Raggis Vorgänger Ignazio Marino im Jahr 2013 endlich die von der EU als illegal eingestufte Deponie Malagrotta schließen ließ, müssen vier Mülltrennungsanlagen den gesamten Abfall (1,8 Millionen Tonnen) der Drei-Millionen-Stadt sortieren. Fällt wie jetzt eine Anlage wegen Wartungsarbeiten oder…